CIM: Frau Hoffmann-Wagner, Frau Jostes, bekommt das Thema Barrierefreiheit in der Eventbranche genug Aufmerksamkeit?
Gudrun Jostes: Barrierefreiheit bei Events ist lange Zeit wenig beachtet worden. Auf Grund der Diskussionen und des gesellschaftlichen Ziels eines inklusiven Miteinanders und der sich wandelnden demografischen Entwicklung rückt dieses Thema immer weiter in den Fokus und wird langsam aber stetig zu einem zukunftsorientierten Thema in der Eventbrache.
Kerstin Hoffmann-Wagner: Wir beobachten derzeit ein steigendes Interesse an dem Thema vor allem im Zusammenhang mit Online-Formaten. Viele BranchenkollegInnen kommen mit Fragen auf uns zu bzgl. Barrierefreiheit im On und Off. Wir hoffen sehr, dass dieses Interesse bleibt und wir einen echten Paradigmenwechsel in der Branche erreichen, hin zu inklusiven und barrierefreien Eventkonzepten.
Welche Aspekte werden beim Planen barrierefreier Events häufig übersehen ?
Gudrun Jostes: Barrierefreiheit ist sehr komplex, jedoch werden Maßnahmen oftmals lediglich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Rollstühlen begrenzt. Klar ist, das stufenlose Zugänglichkeit erforderlich ist. Jedoch sind Maßnahmen für Menschen mit Hörgeräten, wie induktive Höranlagen, oder Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Menschen nicht immer selbstverständlich.
Die barrierefreie Eventkommunikation spielt auch eine wesentliche Rolle. Nicht kontrastreich gestaltete Werbung, Informationen in zu kleiner Schriftgröße, unübersichtliche und kompliziert zu nutzende Anmeldetools lassen das Interesse von möglichen Teilnehmenden schrumpfen.
Kerstin Hoffmann-Wagner: Die von Gudrun angesprochene Eventkommunikation ist ein gutes Beispiel, an dem man sieht, dass Barrierefreiheit uns allen zu Gute kommt. Die Frage ist, wie ich als Eventplanende/r meine Eventinformationen möglichst allen Interessierten zugänglich machen kann. Wie häufig sind Webseiten nicht übersichtlich oder selbsterklärend gestaltet oder Informationen werden zu komplex und umfangreich vermittelt. Wir sollten als Planende viel stärker in die Bedürfnisse unserer (potentiellen) Teilnehmenden hineinhören, um zu erkennen, wo eventuell Barrieren in unserer Kommunikation entstehen könnten. Im Übrigen sollten wir auch die Konzeption des Event-Programms unter Einbindung von barrierefreien Aspekten angehen. Das heißt, sowohl zeitliche als auch räumliche und inhaltliche Voraussetzungen zu schaffen, dass alle Teilnehmenden teilhaben können.
Seit Beginn der Pandemie spielen sich die meisten Veranstaltungen virtuell ab. Wie barrierefrei waren die Online-Events, an denen Sie zuletzt teilgenommen haben?
Kerstin Hoffmann-Wagner: Bei mir war es häufig so, dass die eingesetzten Online-Tools nicht selbsterklärend waren, kompliziert in der Anmeldung, unübersichtlich in den Funktionen, die während des Online-Events benötigt wurden. Auch der parallele Einsatz von weiteren Tools zur eigentlichen Eventplattform, etwa zum Chatten, für Umfragen oder zum Netzwerken, hat zumindest mich häufig vor große Herausforderungen gestellt. Das ist nicht barrierefrei.
Es gibt allerdings auch sehr positive Beispiele, bei denen die Teilnahme sehr einfach war, ein niedrigschwelliger Zugang, sogar die Untertitelung von Vorträgen möglich war. Die Bandbreite ist also sehr groß bei diesem Thema.
Gudrun Jostes: Ich habe dazu sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Bei einer Veranstaltung gab es Technikprobleme, barrierefreie Möglichkeiten wurden nicht kommuniziert und die Akustik mit im Hintergrund wahrnehmbaren Störgeräuschen war sehr schlecht.
Demgegenüber stehen sehr gut vorbereitete Veranstaltungen, die schon im Anmeldetool Informationen zur technischen Barrierefreiheit zur Verfügung stellen. Hinzu kommt, dass die Akteure kontrastierend vor einem angenehmen Hintergrund platziert wurden und auf Grund einer guten Raumakustik das Verfolgen eines Vortrags sehr angenehm war. Ein von ModeratorInnen geführter Chat mit Einblenden schriftlicher Kommentare bei einer anschließenden Diskussion war sehr hilfreich.
Welche Barrieren können bei Online-Events entstehen?
Kerstin Hoffmann-Wagner: Viele Eventplanende haben sich in den letzten 1,5 Jahren intensiv mit dem Thema Online-Events beschäftigt und sind hier gerade zu ExpertInnen geworden. Demgegenüber steht eine sehr heterogene Teilnehmenden-Gruppe. Die Erfahrungen und Vorkenntnisse der Menschen, die an unseren virtuellen Veranstaltungen teilnehmen, sind sehr unterschiedlich, das sollten wir bei der Planung unbedingt berücksichtigen. Prinzipiell sollten wir es so einfach wie möglich gestalten, an den Events teilnehmen zu können. Für Menschen mit Sehbehinderungen können zudem Probleme entstehen, wenn z.B. die gezeigten Inhalte nicht über gängige Screenreader vorgelesen werden können, wenn sie nicht kontrastreich gestaltet wurden oder wenn die Speaker nicht gut zu sehen sind. Für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen oder fremdsprachige Teilnehmende ist Untertitelung sehr wichtig, um alle Inhalte mitbekommen zu können.
Gudrun Jostes: Ich möchte noch ergänzen, dass fehlende Informationen über barrierefreie technische Möglichkeiten, schlechte Übertragungstechnik und fehlende AnsprechpartnerInnen für technische Störungen oft dazu führen, dass Teilnehmende sich vor Ende des Events ausklinken.
Was sollten PlanerInnen bei der Event-Tool-Auswahl beachten, wenn sie ein barrierefreies Online-Event umsetzen möchten?
Kerstin Hoffmann-Wagner: Die Eventplanenden sollten immer vorab ins Gespräch mit den Anbietenden von Event-Tools gehen und folgende Fragen stellen:
■ Sind die Inhalte von den gängigen Screenreadern für Menschen mit Sehbehinderung zu lesen?
■ Kann das Tool alternativ zur Maus-Steuerung über die Tastatur gesteuert werden?
■ Ist eine Untertitelung möglich?
■ Ist es möglich, GebärdendolmetscherInnen zuschalten zu können?
Sind die einen oder anderen Aspekte nicht vorhanden, sollte vorab geklärt werden, welche Alternativen es gibt, um möglichst viele barrierefreie Aspekte abdecken zu können.
Gudrun Jostes: Dabei ist natürlich auch das Format der Veranstaltung entscheidend. Online Meetings mit Chat-Funktionen oder Live Streams ohne Interaktion müssen unterschiedlich bewertet werden. Bei allen Event-Formaten ist auf eine barrierefreie Informationsvermittlung nach dem Zwei-Sinne-Prinzip zu achten. Das bedeutet, dass bei der Auswahl der Tools die Möglichkeit besteht das mindestens zwei Sinne, wie sehen und hören, angesprochen werden.
Welchen Tipp geben Sie VeranstalterInnen, die ein barrierefreies Online-Event planen?
Gudrun Jostes: Gehen Sie erst einmal davon aus, dass barrierefreie Online-Events für alle Teilnehmende einen Mehrwert bringen. Bereiten Sie auch einen Online-Event in allen Phasen im Hinblick eines durch- gängig barrierefreien Erlebnisses vor. Das fängt beim Marketing und den Anmeldetools an und zieht sich weiter über die Auswahl eines möglichst technisch umfangreich angelegten, jedoch für die Teilnehmenden einfach zu bedienenden Tools bis hin zum Setting der Akteure und einer guten Raumakustik. Es sollte immer eine technisch versierte Person vorhanden sein, die im Hintergrund technische Fragen von Teilnehmenden beantworten kann. Und machen Sie vor jedem Online-Event einen Technikcheck!
Kerstin Hoffmann-Wagner: Einfach anfangen, das wäre mein wichtigster Tipp. Und dann sollten Eventplanende stärker die Bedürfnisse der Teilnehmenden berücksichtigen. Es geht nicht darum, die aufregendsten und tollsten Tools einzusetzen. „Keep it simple“ sollte eines der Prinzipien bei Online-Events sein. Ergänzend zu dem zuvor Gesagten möchte ich hier noch einmal betonen, worum es bei Barrierefreiheit – im On und Off – eigentlich geht: Barrierefreiheit schafft erst die Voraussetzung, dass Inklusion gelingen kann. Wollen wir alle Teilnehmenden erreichen, brauchen wir Events ohne Barrieren. Für einen bestimmten Teil unserer Teilnehmenden ist Barrierefreiheit essentiell, um teilnehmen zu können. Für uns alle anderen ist sie ein Gewinn an Komfort. Also profitieren wir alle davon.
Vielen Dank für das Interview, Frau Hoffmann-Wagner und Frau Jostes! Johanna Müdicken