Die Erfahrung ist der Motor

Montag, 29.07.2019

Ein Event soll nachhaltige Eindrücke hinterlassen. Dafür müssen emotionale Erlebnisse gestaltet und übergreifende Botschaften bei den Gästen auf Resonanz stoßen.

Hirn und Herz. „Wir sind eine Branche, in der Logik und gründliche Planung absolut entscheidend für erfolgreiche Ergebnisse sind,“ betont Tracy Halliwell, Director of Business Tourism and Major Events beim London Convention Bureau. „Kreativität und Innovation werden immer wichtiger aufgrund der Nachfrage nach einem Aktivieren von Events, das den Kunden vom Wettbewerb abhebt und beim Konsumenten bleibende Erinnerungen hinterlässt.“ Halliwell berichtet von einer Studie mit 400 Planern, die London and Partners 2015 zu seiner Convention-Bureau-Kampagne „Love the Event, Love the Experience“ organisiert hat.

Die Planer haben an einem 30-sekündigen Test teilgenommen, um herauszufinden, ob ihre linke, logische Hirnhälfte dominiert oder die kreative, rechte. Das Ergebnis: bei über 60 Prozent ist die linke Hirnhälfte dominanter. Jedoch stehen 53 Prozent unter dem Druck, innovative, bahnbrechende Veranstaltungen zu liefern. Weniger als ein Drittel gibt an, dass ihre Firma Risikobereitschaft fördere. Gefragt, wie sie selbst die Kreativität in ihren Organisationen fördern, antworten 34 Prozent, dass sie freie Zeit zum Nachdenken gewähren, aber nur 32 Prozent, dass kreative Exzellenz auch belohnt werde.

Organisationspsychologe Heinz Schuler ist der Ansicht, dass Kreativität nicht gelernt, aber gefördert werden kann, „indem Teams so gestaltet sind, dass sie sich produktiv ‚stören‘ und so immer wieder zu neuem Denken anregen. Zudem wirken die Faktoren Zeit und Unabhängigkeit positiv auf kreative Lösungen. Eine Atmosphäre, in der sich die Grübler vom eigentlichen Problem lösen und gewohnte Gedankenwege verlassen können, begünstigt den Prozess.“ Zwei Drittel geben an, dass Zeitdruck und Budgets Kreativität hemmen.

Die Agenturgruppe Vok Dams hat reagiert und ein Digital-Live-Experience-Team mit Profis für hybride Events, Live-Kampagnen und agiles Eventmanagement gebildet. Das DLX-Team will Kunden helfen, „die Dynamik des digitalen Wandels kreativ für die Kommunikation zu nutzen“, erläutert CEO Colja Dams. Silos und Denkmuster sollen aufgebrochen werden, um digitale Intelligenz, Messbarkeit und Reichweite mit emotionalem Live-Marketing zu kombinieren. Dams ist sicher: „An den Schnittstellen zwischen Digital und Live entstehen künftig die spannendsten Innovationen.“

Marriott hat seine Zusammenarbeit mit TED Conferences ausgebaut. Passend zu deren Motto „Ideas worth spreading“, wird die Hotelkette erstmalig die TED2019-Konferenz in Vancouver in zwölf Häuser live übertragen. Im Rahmen der „Bonvoy Moments“ werden zudem eine TED-Masterclass sowie TED-Fellow-Salons angeboten. „Die Partnerschaft bietet eine konstante Innovations- und Erkenntnisplattform, die weltweit die Kreativität von Gästen und kreativen Denkern beflügelt,“ so Julius Robinson, Senior Vice President der Classic Premium-Marken von Marriott International.

Inspiration, wie unter dem Druck und der Dynamik des Digitalisierens Freiräume im Kopf geschaffen werden können, bieten Seminare und Workshops. So lädt die IECA Mannheim am 24. Oktober zu „Interaktive Veranstaltungsformate – Eventkonzeption am Puls der Zeit“, darunter dem Thema „Ideenfindung – Kreativität ist ein Spiel“.

Den Spieltrieb der Gäste entdecken auch die Branchenmessen und bieten Raum zum Entdecken. Auf dem Programm der Locations Stuttgart am 2. Juli stehen zwei Kreativ-Workshops. Dabei geht es um „Puppet-Thinking“ und ein Painting-Event, einen Mix aus Kunst, Unterhaltung und Drinks, erfunden in den USA. Die Agenda umfasst ferner Storytelling mit Live-Content und Eventvermarktung via Social-Media. Wie beides – digital und kreativ – vereinbart werden kann oder sich gegenseitig befruchtet, wird in den Workshops, den Medien sowie unter Fachleuten heiß diskutiert.

„Kreativität wächst wohl am besten an Widerständen“, weiß Prof. Dr. Peter Friedrich Stephan, Kunsthochschule für Medien in Köln. „Doch das Digitale verspricht eher das Gegenteil: alles soll wie von selbst gehen. Im Digitalen wird sämtliche greifbare Geschichte vergegenwärtigt. Das blockiert vielleicht bei Manchem die Vorstellungskräfte für das Neue.“ Prof. Stephan ist Designer und Berater, Forscher und Musiker.

Er beobachtet, dass die Innovation zu einem „kreativen Imperativ“ geworden sei, zu dem viel Beratung, wie Design-Thinking, nachgefragt werde. Allerdings seien später häufig nur Scheininnovationen zu sehen, während der traditionelle Betrieb weiterlaufe, solange es eben noch gehe. „Es ist zwar gut, Kreativität und Beweglichkeit zu steigern, wie es das Design-Thinking tut“, sagt Prof. Stephan. „Doch die Perspektive muss bis hin zu den strategischen Fragen der Unternehmen und dem gesellschaftlichen Kontext noch viel umfassender werden.“

Events wie die Re:publica Berlin, das Campfire Ende August in Düsseldorf oder die Ars Electronica mit ihrem Future Innovators Summit, Anfang September in Linz, diskutieren alle Auswirkungen der Digitalisierung. Und sind dabei erfolgreiche Publikumsmagneten, denn sie erfinden sich neu, stärken ihre Relevanz und blicken über den Bühnenrand.

Die 40. Ars Electronica (AE) steht unter dem Motto „Out of the Box – the Midlife Crisis of the Digital Revolution“. Als eine der größten Bühnen für Medienkunst, Festival für digitale Musik, Messe für Kreativität und Innovation sowie Spielwiese für die nächste Generation fokussiert das Festival Kunst, Technologie und Gesellschaft.

Die 15 Teilnehmer des Future Innovators Summits werden Probleme der digitalisierten Gesellschaft thematisieren und „Creative Questions & Future Scenarios“ für eine bessere Zukunft entwickeln, um sich aus der „Box“ zu befreien. Rund 105.000 Gäste kamen 2018 zum AE mit gesamt 614 Programmpunkten in fünf Tagen, die größte Veranstaltung seit der Gründung 1979.

„Die Erfahrung selbst ist heute Motor der Veranstaltung“, fasst Tracy Halliwell zusammen, „aber nur mit der Kombination von bahnbrechenden Ideen und konkreten Lösungen können wir wirklich überraschen und begeistern“.

Katrin Schmitt