Kolumne: Ist die menschliche Begegnung digital möglich?

Montag, 16.05.2022

Zukünftig geht unser Kolumnist David Friedrich-Schmidt in jeder CIM-Ausgabe mit einer/einem BranchenvertreterIn in die Arena und diskutiert ein heißes Eisen. Den Reigen eröffnet Dr. Christina Buttler.

Ja! Sagt Dr. Christina Buttler, Senior Management Advisor beim Online-Ärztenetzwerk Esanum.

„Selbstverständlich ist sie das! Menschliche Begegnung im Sinne einer Begegnung auf Augenhöhe, eines Dialogs und eines Austauschs von Meinungen oder Wissen ist völlig unabhängig vom Format der Begegnung zu sehen. Um zu gelingen, benötigt sie eine Inszenierung, mehr nicht. Das aber schon.

Wer war noch nie auf einem Präsenz-Event, bei dem ihm nicht gelungen ist, interessante Gespräche zu führen? Vielleicht war das Programm zu straff oder die Vorträge ließen keinen Platz für Diskussion, geschweige denn, dass sie einen partizipativen Ansatz des gemeinschaftlichen Arbeitens boten. 

Und die Gegenbeispiele? Ich habe sie. Digitale Geburtstagsfeiern, digitale Workshops und digitale Branchen Meetings. Die Teilnehmer kannten sich oft nicht, aber sie bekamen die Möglichkeit, sich kennenzulernen, sich auszutauschen und in einen echten Dialog einzusteigen. Wer aktuell nur langweilige und ermüdende digitale Meetings kennt, der war auf den falschen Meetings. Meetings sollten von Profis designt werden, die sich nicht mit der Auswahl eines Tools zufriedengeben.

Menschliche Begegnung braucht Platz, z.B. im Programm. Sie braucht Dialogmöglichkeiten, lieber gesprochen als geschrieben. Sie braucht die Chance der Mitgestaltung auf Seiten der Teilnehmer, nur daraus kann wirklich Relevanz erwachsen. Und digitale Events brauchen sicherlich sehr viel Abwechslung: zwischen digitaler Teilnahme und analogen Engagements, zwischen Konsumieren und Partizipieren und zwischen Ruhe und Bewegung. Dann wird Begegnung digital möglich.“

Dr. Christina Buttler

Nein! Sagt David Friedrich-Schmidt, Geschäftsführer, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN).

„Nur in der Theorie. Menschliche Begegnung sind online in einem bescheidenen und wenig erquicklichen Rahmen möglich. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Konzepte klingen in der Theorie voll gut, scheiterten dann jedoch kläglich in ihrer Umsetzung.

Informationsweitergabe zwischen Sender und Empfänger gelingt noch ganz gut, bei Diskussionen und konstruktivem Streit wird es schon schwieriger, Networking ist unmöglich. Das braucht Mimik, Gestik, Berührung, sinnliche und ästhetische Komponenten. Ich mag kein Networking, bei dem ich als Avatar unterwegs bin und im Vorfeld die optimale Browsereinstellung checken muss, damit ich mich auf dem Parkett zurechtfinde.

Informationsaustausch braucht Aufmerksamkeit, direkte Ansprache, Blickkontakt. Die Versuchung ist groß, während digitaler Veranstaltungen Mails zu beantworten oder im Internet zu surfen. Und seien wir ehrlich: Wer macht es nicht? Dinge, die wir uns in einem persönlichen Meeting nie trauen würden.

Digitale Meetings sind ein Notnagel, wenn persönliche Treffen, wie während der Corona-Pandemie, nicht möglich sind oder der Aufwand hierfür zu groß ist. Es ist richtig, dass wir unsere Veranstaltungen vollumfänglich hybridisieren. Fokussieren wir uns doch aber bitte darauf, die Informationsweitergabe cool zu machen und Interaktion zu vereinfachen. Wir sollten uns jedoch von dem Irrglauben verabschie-den, dass was digital als vermeintlich menschliche Begegnung klassifiziert wird, an die Qualität im Real-Life herankommt. Nicht im Ansatz. Leider.“

David Friedrich-Schmidt