Applaus ohne Grenzen. „Ich liebe es, wie der Kongress einfach alle für alles feiert“, sagt ein Teilnehmer des Chaos Communication Congress (CCC) Ende Dezember 2018 in Leipzig. – Wie Recht er hat! Es wird für alles applaudiert. Klatschen dafür, dass jemand AGBen gelesen hat. Klatschen für denjenigen, der den Hinweis für die französische Übersetzung auf Französisch vorlesen kann. Für jemanden, der ganze Bücher liest. Jemanden, der gegen die Alternative für Deutschland (AfD) ist. Und dann immer wieder spontan und scheinbar grundlos, in den großen dunklen Hallen voller Hacker in Klischee-Hoodies, die in Assemblies an langen Tischen sitzen und Systeme hacken. Oder so tun.
Oft wissen viele nicht, warum geklatscht wird. Aber alle machen mit. Wahrscheinlich hat jemand ein System gehackt. Könnte aber auch sein, dass grade einfach jemand beim Kippeln nicht vom Stuhl gefallen ist. Es ist ein schönes, respektvolles Miteinander. Jeder bringt seine eigene technische Ausrüstung, seine liebevoll gebastelten Projekte und ziemlich viel Bock auf Austausch mit.
Mit Witz, Charme und einer stetig wachsenden Crowd: Der 35. Chaos Communication Congress (35C3) organisiert und finanziert sich ausschließlich über ehrenamtliche Helfer. Mehr als 4.000 Engel helfen vor während und nach der Messe mit, den Kongress zu stemmen. Nicht bloß die Zahl der Helfer ist beachtlich, auch die Besucherzahlen steigen und machen die einstige kleine Hamburger Hackerrunde von 100 Leuten in Leipzig zu einem charismatischen Massenevent.
Der 35C3 hatte im vergangenen Jahr 17.000 Besucher. Auch wenn Stimmen laut werden, dass das stetige Wachstum eine Herausforderung bedeutet, ist der ursprüngliche chaotische Charme nicht verloren gegangen. Die Besucher flitzen auf mitgebrachten Scootern, Hoverboards und Fahrrädern durch die langen Gänge der Hallen. Die Fahrzeuge werden an allen möglichen Ecken abgestellt, Schlösser sind nicht notwendig. Und wenn dann doch mal ein Scooter unter fremden Sohlen landet, wird bei den Vorträgen kurz darauf hingewiesen, dass die Dinger Privatbesitz sind und bitte zurückgebracht werden sollen. Wird erledigt. Der Umgang untereinander ist betont lässig, gespickt mit einem ganz eigenen Humor.
Viele Hacker, doch nur wenige Haecksen tummeln sich beim 35C3. Während die re:publica 2018 es bereits auf ein fast ausgeglichenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Besuchern geschafft hat, sind es beim CCC noch eher zwei Frauen, acht Männer. Unter den meisten Kapuzen stecken männliche Köpfe, die den schöpferisch-kritischen Umgang mit Technologie (Zitat aus der Hackerethik des CCC) prägen. Manfred Koibler, IT- und Netzjournalist, schreibt in einem Deutschlandfunk-Artikel, die digitale Zukunft werde nur aktiv von denen geschaffen, die sie begreifen.
Klingt schlüssig. Dennoch wäre ein größerer Frauenanteil auf dem weltgrößten Hackertreffen wünschenswert. Denn bislang regieren auf dem 35C3 Hacker das Feld. Doch nach und nach etabliert sich nicht nur der Begriff der Haecksen, so heißen weibliche Hackerinnen, sondern auch Teilnahme und Veranstaltungen der Haecksen. Ganz der liberalen Hacker-Einstellung entsprechend, umfasst – laut eigener Definition – der Begriff Haecksen auch Cis-, Trans- und Non-binäre Menschen.
Das Ziel der Haecksen ist es aufzuzeigen, dass Mädchen und Frauen ganz selbstverständlich kreativ mit Technik umgehen können. Sie möchen das Bild in den Köpfen der Menschen – dass Hacker männlich sind – korrigieren. In Deutschland klafft jedoch eine große Lücke zwischen Frauen und Männern beim Thema Digitalisierung. Dies besonders im Fachbereich Entwicklung künstlicher Intelligenz: Nur 16 Prozent im Tech-Talent-Pool sind weiblich. Ein großes Problem, denn das Entwickeln künstlicher Intelligenz bedarf männlicher und weiblicher Perspektiven.
Schon die englische Wissenschaftlerin und Pionierin Ada Lovelace konstatierte bereits im 19. Jahrhundert, dass die Maschine unfähig zu eigener Erkenntnis ist. Am Beispiel von Amazons fehlerhafter Bewerbungs-Software, die Frauen systematisch benachteiligte, lässt sich klar ablesen: Wenn das System ohne den weiblichen Input entwickelt wird, wird die Maschine auf diesem Auge blind und diese Frage von selbst nicht aufwerfen. Aber die Fragen nach Parität, Diversität und Antidiskriminierung müssen gestellt werden, um ein faires digitales System für die Gesellschaft zu ent‧wickeln.
Der CCC ist ein Ort, an dem Zukunft aktiv gestaltet wird. Das Prinzip Trial-and-Error findet praktische Anwendung: An technologischen Lösungen für noch nie dagewesene Problemstellungen wird gemeinsam gearbeitet. Der CCC feiert alles, was auf der Messe passiert. Vielleicht wird nächstes Jahr im Congress Centrum und in der Messe Leipzig noch stärker für jene Frauen geklatscht, die sich und ihre Sichtweise in den schöpferisch-kritischen Umgang mit Technologie aktiv einbringen. Der 36C3 findet vom 27. bis 30. Dezember 2019 im CCL statt.