Grün, grün, grün…

Montag, 22.07.2024
… sind all unsere Events, und das hoffentlich schon bald. Auf dem Weg zur Klima­neutralität hat die Veranstaltungsbranche einen nicht unerheblichen Beitrag zu leisten.
Brückenbau als Teamevent: Zusammen erschaffen die TeilnehmerInnen ein Bauwerk, das der Gesellschaft langfristig zugutekommt. Foto: Alpin Convention

Brückenbau als Teamevent: Zusammen erschaffen die TeilnehmerInnen ein Bauwerk, das der Gesellschaft langfristig zugutekommt. Foto: Alpin Convention

„Der Klimawandel bleibt die große, weltumspannende Herausforderung unserer Zeit“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz im Dezember vergangenen Jahres im Rahmen der Weltklimakonferenz in Dubai. „Als erfolgreiches Industrieland wollen wir 2045 klimaneutral leben und arbeiten.“ Per Klimaschutzgesetz hat sich Deutschland dazu verpflichtet, bis 2045 Treibhausgasneutralität erreicht zu haben, bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Damit diese Ziele erreicht werden, muss auch die Veranstaltungsbranche ihren Teil beitragen. Denn Events sind leider nicht nur für ihre Strahlkraft und wirtschaftlichen Nutzen, sondern auch für einen in der Regel hohen Energie- und Ressourcenverbrauch sowie erhebliche Treibhausgasemissionen bekannt: 2021 hat der jährliche CO2-Fußabdruck der globalen Veranstaltungs- und Kongressindustrie den jährlichen Treibhausgasemissionen der gesamten USA entsprochen, so die bittere Bilanz einer Studie der Cornell University.

Wettbewerbsfaktor Nachhaltigkeit

Ihre ökologische Verantwortung hat die Eventbranche inzwischen erkannt. Nachhaltigkeit ist kein nettes Gimmick mehr, sondern zum relevanten Wettbewerbsfaktor geworden. Kaum ein anderes Thema steht zurecht derart im Fokus wie das Nachhaltigkeitslevel von Veranstaltungslokalitäten, Events und Tagungsdestinationen. Die Ergebnisse des Meeting- & Eventbarometers 2023/2024 belegen: Knapp 90 Prozent der VeranstalterInnen bevorzugen Anbieter mit einem nachhaltigen Zertifizierungssystem. Bei der letzten Abfrage 2019/2020 waren es noch lediglich 36 Prozent. Ressourceneffizienz und Imageverbesserung werden dabei von Anbieterseite als Hauptbeweggründe für ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem genannt. Laut der Studie der Deutschen Zentrale für Tourismus, des German Convention Bureaus und des Europäischen Verbands der Veranstaltungs-Centren (EVVC) werden auch die zunehmenden gesetzlichen Bestimmungen die Relevanz einer strategisch in Unternehmen verankerten Nachhaltigkeit weiter steigern. Regelwerke wie der European Green Deal fördern demnach den Nachhaltigkeitskreislauf in der Branche, der insbesondere von ESG-Berichterstattungspflichten auf KundInnenseite getrieben werde. Die ESG Reporting-Pflicht erfordert die Offenlegung von Daten in puncto Umwelt, Soziales und Unternehmensführung und betrifft ab 2025 nicht länger nur große börsennotierte, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen.

Zukunftsfähigkeit sichern

„Die aktuelle Gesetzgebung zum Klimaschutz ist weniger ein Fluch, sondern eher ein Segen, der als wichtige Chance für eine gesunde Zukunft zu verstehen ist”, so die Überzeugung von Nachhaltigkeitsexperte Stefan Lohmann. Zusammen mit dem Branchennetzwerk MEET GERMANY hat er 2021 die „16 Steps Initiative“ ins Leben gerufen. Der 16-stufige Plan hat zum Ziel, bis 2025 einen Mindeststandard für klimaneutrale und nachhaltige Veranstaltungen in der Eventbranche zu generieren. Die einzelnen Schritte, die seither nacheinander veröffentlicht werden, beruhen dabei auf Lohmanns Leitfaden „Sustainability Rider“, der von ISO- und EMAS-ExpertInnen mitentwickelt und überprüft wurde. „Das Ziel muss sein, die Branche zukunftsfähig zu gestalten und auf ein nachhaltiges, verantwortungs- und klimabewusstes Businessmodell umzurüsten“, sagt der Gründer der Online-Plattform Sustainable Event Solutions.

Von der Ernsthaftigkeit, mit der die Veranstaltungswirtschaft das Thema Nachhaltigkeit angeht, zeugen Bemühungen wie das Drängen auf ein Umweltzeichen „Blauer Engel“ für Green Events, mit dem schon bald auch nachhaltige Events ausgezeichnet und vermarket werden sollen. Der EVVC will bis 2030 klimaneutrale Veranstaltungen durch seine Mitglieder und Partner anbieten, bis 2040 soll Klimaneutralität in allen Veranstaltungsstätten erreicht werden. Im verbandsspezifischen Plan werden elf Punkte vorgegeben, an dem sich Mitglieder und Partner orientieren können. Unter anderem geht es um Ökostromversorgung sowie nachhaltige Veranstaltungstechnik und Messebau. „Wir wollen proaktiv die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommen unterstützen und früher als von der Bundesregierung geplant vor 2045 klimaneutral sein“, heißt es dazu von EVVC-Vorstand für CSR und Nachhaltigkeit Prof. Dr. Große Ophoff. Für die Bewältigung der Herausforderungen stellt der EVVC Infos und Hilfestellungen bereit und setzt auf den Austausch der Mitglieder.

Spaß mit Tiefgang

Dass auf KundInnenseite die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten deutlich steigt, bestätigt Corsin Parolini, General Manager von Alpin Convention. Die Veranstaltungs- und Eventagentur mit Standorten in Garmisch-Partenkirchen Innsbruck hat sich auf nachhaltige und sinnstiftende Teambuildings in der DACH-Region spezialisiert. Angeleitet von SchreinerInnen werden Lebenstürme für Insekten und Kleintiere oder wiederverwendbare Holzbühnen für die nächste Tagung gebaut. Auch große Projekte wie das Erschaffen von Schutzhütten, Fußgängerbrücken oder Windrädern werden realisiert. Er ist sich sicher: „Wir als Akteure der Eventbranche haben die einzigartige Möglichkeit, Werte, für die unsere KundInnen stehen, erlebbar zu machen – so auch im Kontext der Nachhaltigkeit und der sozialen Verantwortung. Dafür müssen wir weiterhin Ideen entwickeln, die glaubwürdig sind.“ Das Ziel: Zu zeigen, dass sich das Sensibilisieren für Nachhaltigkeitsthemen und unterhaltsame Gruppenevents nicht ausschließen, sondern im Gegenteil Hand in Hand gehen können. „Spaß mit Tiefgang“ nennt Parolini das dann. Dabei ist ihm besonders wichtig, als Dienstleister authentisch zu bleiben. Wenn eine Firma ein nachhaltiges Incentive bei ihm plane, zu diesem dann aber mit dem Hubschrauber angereist werden soll, ziehe er ein Angebot auch wieder zurück: „Man kann nicht auf der einen Seite Nachhaltigkeit predigen und auf der anderen Seite konträr dazu handeln.“

Corsin Parolini, General Manager von Alpin Convention. Foto: Alpin Convention

Lieber zweimal hinsehen

Und Ernsthaftigkeit und Authentizität ist, was auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft zählt. Denn wer schönen Worten wenig bis keine Taten folgen lässt, ist weder ehrlich noch effektiv – und schadet im Zweifel nicht nur der Umwelt, sondern auch der Glaubwürdigkeit der Branche. „An zwei Dingen scheiden sich zurecht die Geister: Zertifikate und Kompensationen“, sagt dazu Nils Cordell, Geschäftsführer der Cordell GmbH und Tanzloft GmbH. Der Projektleiter des Euro Dance Festivals sowie Festivalleiter des Line Dance Festivals im Europa-Park hat 2023 zusammen mit Heiner Weigand das Buch „Nachhaltigkeit im Eventmanagement“ veröffentlicht, das PlanerInnen Lösungen für das Organisieren nachhaltiger Events bietet. Er rät zu genauem Hinsehen, Prüfen und Nachfragen, wenn es um Zertifizierungen geht. „Bei den Zertifikaten stehen wir heute ungefähr dort, wo wir im Lebensmittelhandel noch vor einigen Jahren waren. Es gibt sie mit unterschiedlichsten Schwerpunkten, von den unterschiedlichsten Organisationen ausgegeben, mit den unterschiedlichsten Regeln. Man sollte daher zuerst die eigenen Werte klären, um danach zielgenau bei Dienstleistern und Anbietern abzufragen, wie sich deren Angebot zu diesen Werten verhält.“ Als alleiniges Entscheidungskriterium für eine Vergabe sollte ein Zertifikat daher nicht stehen. Und auch CO2-Kompensationen sieht Cordell kritisch. Diese können zwar ein sinnvolles Mittel darstellen, wenn ein Event auch bei größter Anstrengung noch nicht den gewünschten Grad der Nachhaltigkeit erreicht. Aber: „Hier besteht die Gefahr, dass man sich ‚freikaufen‘ kann, ein moderner Ablasshandel quasi“. So werde eine wertvolle Maßnahme im Zweifel nicht mehr umgesetzt, weil sie mehr Aufwand, Zeit oder Budget als eine unkomplizierte Ausgleichszahlung bedeute.

Nils Cordell, Geschäftsführer der Cordell GmbH und Tanzloft GmbH. Foto: V. Behringer

Sein Tipp an PlanerInnen, die ein wirklich nachhaltiges Event realisieren wollen? Sich genau von diesem Ziel zu verabschieden. „Stattdessen sollte man sich lieber vornehmen, jedes Mal aufs Neue nachhaltiger als letztes Mal zu sein – mit einem klaren Bekenntnis zu Verbesserungen, die bei der jeweils folgenden Veranstaltung in Angriff genommen werden.“

Johanna Palmu