Mehr möglich machen

Montag, 18.11.2024
Veranstaltungen sollten für alle Personen zugänglich sein, unabhängig von ihren persönlichen Voraussetzungen und Einschränkungen. Worauf kommt es wirklich an, wenn es um die Barrierefreiheit von Locations oder um ein inklusives Konferenzprogramm geht? Vier Beispiele aus der Praxis.
Taktiles Leitsytem, blaue Aufkleber auf beigem Boden

Ein taktiles Leitsystem, Farbmarkierungen und Teppichleitlinien sorgten während des Louis Braille Festivals dafür, dass sich die BesucherInnen in den Räumlichkeiten der Liederhalle einfacher orientieren konnten. Photo: Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle/Georg Kludsky

CCH: Barrierefreiheit mitgedacht

„Nur Barrierefreiheit schafft echte Gleichberechtigung“, sagt Katariina Rohrbach, COO des CCH – Congress Center Hamburg. Bei der bis Frühjahr 2022 andauernden Modernisierung der Location wurde Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht. In enger Zusammenarbeit mit Verbänden zur Inklusion wurde ein ganzheitliches Konzept entwickelt, das bauliche und visuelle Barrieren überwinden soll. Dabei kommt im gesamten Gebäude das sogenannte „Mehr-Sinne-Prinzip“ zur Anwendung: Bei diesem werden Informationen und Inhalte über mindestens zwei verschiedene Sinne vermittelt, was auch Menschen mit Sinneseinschränkungen ermöglichen soll, alle Informationen zu erfassen. Zum inklusiven Konzept gehören neben dem stufenfreien Zugang Punkte wie reduzierte Tresen- und Handlaufhöhen, ein Bodenleitsystem, kontraststarke visuelle Informationen, optische Stufenmarkierungen oder taktile Stockwerksbezeichnungen. 18 Behindertenparkplätze stehen zur Verfügung, außerdem verbessern induktive Höranlagen in zwei Sälen die Sprachverständlichkeit für Menschen mit Hörbeeinträchtigung. Sicherheitsaspekte wie ein Gehörlosennotruf und Displays mit visuellen Nachrichten in den Aufzügen wurden bei der Revitalisierung des Hauses ebenfalls berücksichtigt.

Liederhalle: Festival mit Fußabdruck

Das Louis Braille Festival brachte im Mai rund 5.000 Menschen nach Stuttgart, darunter viele blinde und sehbehinderte Teilnehmende. Teil des Programms waren über 160 Vorträge, Lesungen und interaktive Workshops, die im Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle, der Reithalle des Maritim Hotels sowie auf deren Außenflächen stattfanden. Obwohl in der Liederhalle bereits zuvor ein großer Fokus auf der Barrierefreiheit lag, wurde in Vorbereitung auf das Festival noch einmal nachjustiert: „Die Organisation dieses Events für sehende, sehbehinderte und blinde Menschen erforderte eine differenzierte Vorbereitung und innovative Ansätze, um sicherzustellen, dass das Festival für alle Teilnehmenden gleichermaßen zugänglich war“, so Meike Poweleit, Leiterin des Veranstaltungshauses. Vorab wurden alle MitarbeiterInnen des Kongresszentrums zum Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen geschult. Vor Ort halfen unter anderem ein Leitsystem mit Farbmarkierungen sowie speziell gestaltete Taktilo-Elemente und Teppichleitlinien, sich leichter zurechtzufinden. Für die bessere Sichtbarkeit wurden auffällige Aufkleber an den Glastüren und farbige Markierungen auf den Treppenstufen angebracht. Diese sind auch nach dem Festival geblieben – genauso wie das Wegleitsystem auf dem Berliner Platz, das für die Veranstaltung installiert wurde und BesucherInnen durch weiße Leitlinien und Kennzeichnung der Treppen auch in Zukunft die Fortbewegung erleichtern wird.

re:publica 24: Man lernt nie aus

Zentrale Lage, barrierearme Architektur: Für die re:publica gehören Standards der Barrierefreiheit zu den Grundvoraussetzungen für die Durchführung der Veranstaltung. Das Festival für die digitale Gesellschaft setzt auf Aspekte wie Gebärden- und Sprachdolmetschung, All-Gender-Toiletten, ein Awareness-Team, gestaffelte Ticketpreise, Live-Streams verschiedener Bühnen oder ein umfangreiches Videoarchiv mit Aufzeichnung der Programminhalte. Jedes Jahr werden die Maßnahmen evaluiert, angepasst oder neu erarbeitet. In diesem Jahr wurde die Bühne 1 in der Station Berlin als zentraler Ort gewählt, um ein möglichst inklusives Festivalerlebnis für alle umzusetzen. Hier wurden unter anderem Rampen und Plätze für RollstuhlfahrerInnen als Gestaltungselemente in die Gesamtarchitektur eingefügt, erstmals waren die Videos der re:publica-Session auf Bühne 1 mit Gebärdendolmetschung im Videoarchiv abrufbar.

„Die Größe der Veranstaltungsfläche, die Vielzahl der Spielorte der re:publica 24, Zeit und Budget waren die größten Herausforderungen“, berichtet Nachhaltigkeitsmanagerin Nantjen Kuesel. „Nicht alle Bühnenorte konnten wir so barrierefrei gestalten, wie wir es gerne hätten. Auch zeigt erst die Praxis, ob eine Lösung funktioniert und wir alles bedacht haben.“ So war der Übergang zum Park des Deutschen Technikmuseums, in dem Programmpunkte stattfanden, 2024 (noch) nicht barrierefrei. Auch waren die Aufzeichnungen der Gebärdendolmetschung mit hohen Kosten verbunden, wodurch an anderen Stellen gespart werden musste.

Für die re:publica 25 sollen diese Punkte noch einmal angegangen werden. Fest steht außerdem bereits, neue Standards für inklusive Bühnenorte zu formulieren, die Architektur und Ausstattung von Ruheorten und reizarmen Orten zu überarbeiten und einen Fokus auf die digitale Barrierefreiheit zu legen. „Für uns ist der Austausch mit unseren TeilnehmerInnen und das Feedback von ExpertInnen wichtig: wie sie den Zugang zur re:publica erleben und ob Maßnahmen funktioniert haben oder eben nicht“, so Kuesel. „Wir lernen jedes Jahr dazu und arbeiten kontinuierlich an besseren Lösungen.“

2024 war erstmals das Format „re:publica goes accessible” Bestandteil der Veranstaltung. Entwickelt wurde es vom Team der Agentur für Barrierefreiheit. Die Idee: Gemeinsam mit den TeilnehmerInnen der re:publica Berlin über eine bessere Welt ohne Hindernisse nachzudenken. Gesprochen wurde über Barrieren auf der re:publica und im persönlichen Alltag und wie diese abgebaut werden können. Mehr Infos gibt es hier: absofort barrierefrei.de

ctc events: Inklusives Incentive

Der persönliche Austausch zwischen RollstuhlbasketballspielerInnen der Rhine River Rhinos und den 300 Teilnehmenden gehörte zum Programm eines mehrtägigen Incentives in Portugal, das ctc events in diesem Jahr konzipiert und umgesetzt hat. „Die größte Herausforderung war es, während der anfänglichen Planungsphase die Skepsis externer Projektbeteiligter abzuwenden“, berichtet Agenturleiterin Conny Lobert. Im Laufe der Gespräche habe sich schnell der Grund für die Vorbehalte gezeigt: „Unsicherheit und die Angst, etwas falsch zu machen und vielleicht unabsichtlich eine behinderte Person zu kompromittieren.“ Gleich zu Beginn nahm sich das Projektteam daher ausreichend Zeit, mit den RollstuhlbasketballspielerInnen zu sprechen, genau hinzuhören und sich ihre individuellen Bedürfnisse anzuschauen. Nicht jede/r benötigte etwa zwingend ein komplett barrierefreies Hotelzimmer. Gemeinsam wurden passende Lösungen gefunden. Zudem kooperierte ctc events für das Projekt mit der Agentur Potenzial Pioniere, die Unterstützung und Beratung in Sachen Inklusion bietet.

Vor Ort waren Berührungsängste dann schnell vergessen. Etwaige Hindernisse, wie der Weg zu einer Strandparty oder andere Zugänge, die nicht barrierefrei waren, wurden kurzerhand durch das beherzte Anpacken des anwesenden Personals überwunden. „Je tatkräftiger die Beteiligten werden konnten, umso mehr schwand die Unsicherheit. Incentives dieser Art helfen, Vorurteile abzubauen und Inklusion zur Normalität werden zu lassen“, so Lobert. Das Feedback zur Veranstaltung sei rundum positiv ausgefallen. In Zukunft will die Eventagentur das Thema Inklusion auch in anderen Formaten noch stärker integrieren.

Johanna Palmu