„Die Veranstaltenden stehen immer stärker unter Beobachtung“

Dienstag, 16.07.2024
Was sind die größten Fallstricke beim Planen nachhaltiger Events? Drei Fragen an Nils Cordell, Geschäftsführer der Cordell GmbH und Tanzloft GmbH.
Foto: Larisa-K/pixabay

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CIM: Herr Cordell, welche Herausforderungen stehen der Umsetzung nachhaltiger Events am häufigsten im Weg?

Die einfache Antwort wären höhere Kosten der meisten nachhaltigen Maßnahmen, aber das sollte immer hinterfragt werden. Wird das Wort “Kosten” durch “Investitionen” ersetzt, und wird langfristig, also über das eine anstehende Event hinausgedacht, verliert das Argument an Bedeutung. Es ist oft eher die mangelnde Bereitschaft der Akteure, vom Bewährten abzuweichen; die Beharrungskräfte sind stark. Verstärkt wird dies durch die Tatsache, dass die überwiegende Zahl von Veranstaltungen unter ständigem Zeit- und Kostendruck geplant werden, vielschichtig und manchmal auch überraschend sind. Es braucht daher viel Durchhaltevermögen, gute Nerven und Überzeugungsarbeit, um neue Wege zu beschreiten.

(Noch) herrscht wenig Druck von außen, was aber auch Chancen bietet, sich in einem noch nicht klar umgrenzten Markt mit nachhaltigen Konzepten als Vorreiter zu positionieren. Eine positive Nachricht: Viele Locations sind in der Regel schon sehr nachhaltig aufgestellt, auch weil es hier einen deutlich ausgeprägten Wettbewerb gibt, und bieten eine robuste Kombination von nachhaltigen Faktoren im besten Wortsinne “von Haus aus”.

Ein ganz anderes Bild bietet sich outdoor bzw. an Plätzen mit temporärer Infrastruktur, ganz egal ob es sich um Open-Air-Konzerte, Festivals, Stadtfeste etc. handelt. Bei Events, die per se schon mit hohen Kosten (und finanziellen Risiken, nicht zuletzt durch häufiger auftretende Wetterextreme) auf Seite der Veranstaltenden verbunden sind, braucht es besondere Kraftanstrengungen und auch eine gehörige Portion Idealismus.

Nicht immer sind die Bemühungen in Richtung Nachhaltigkeit transparent und ehrlich – wie beurteilen Sie das Thema Greenwashing in der Eventbranche?

Im Gegensatz zu komplexen Produkten mit tief verschachtelten Lieferketten hat die Eventbranche den Vorteil, “greifbarer” zu sein. Was vereinfacht gesagt ja in der Natur der Sache liegt – es sind immer Menschen beteiligt, deren Wirken zentrales Element jeder Veranstaltung ist. Wenig passiert im Verborgenen und Entscheidungen der VeranstalterInnen haben meist direkten Bezug zu den Gästen.

Da das Thema Nachhaltigkeit, zumindest in der Eventbranche, gefühlt erst seit einigen Jahren richtig Fahrt aufnimmt, steht es aktuell noch im Fokus – und die Veranstaltenden stehen immer stärker unter Beobachtung. In ein paar Jahren wird Nachhaltigkeit im Eventmanagement vermutlich nur noch ein Hygienefaktor sein, und die Frage nach dem Greenwashing stellt sich dann gar nicht mehr. Bis dahin ist sie aber ein klarer Businesstreiber, und daher auch anfällig für handwerkliche Fehler in der Kommunikation, um es diplomatisch auszudrücken.

An zwei Dingen scheiden sich (zurecht) die Geister: Zertifikate und Kompensationen. Ich rate zu genauem Hinsehen, Prüfen und Nachfragen. Bei den Zertifikaten stehen wir heute ungefähr dort, wo wir im Lebensmittelhandel noch vor einigen Jahren waren. Es gibt sie mit unterschiedlichsten Schwerpunkten, von den unterschiedlichsten Organisationen ausgegeben, mit den unterschiedlichsten Regeln. Man sollte daher zuerst die eigenen Werte klären. Um danach zielgenau bei Dienstleistern und Anbietern abzufragen, wie sich deren Angebot zu diesen Werten verhält. Ein Zertifikat ist sicherlich in der Vorauswahl hilfreich, sollte aber niemals das alleinige Entscheidungskriterium für eine Vergabe darstellen.

CO2-Kompensationen können ein sinnvolles Mittel sein, wenn eine Veranstaltung auch bei größter Anstrengung noch nicht den gewünschten Grad der Nachhaltigkeit erreicht hat. Hier besteht aber die Gefahr, dass man sich “freikaufen” kann, ein moderner Ablasshandel quasi. Was bedeutet, dass eventuell die ein oder andere Maßnahme genau deswegen nicht umgesetzt wird, weil sie mehr Aufwand, Zeit und / oder Budget in Anspruch nimmt, als eine unkomplizierte Ausgleichszahlung zu tätigen.

Was ist Ihr wichtigster Tipp für PlanerInnen, die eine wirklich nachhaltige Veranstaltung realisieren möchten?

Es sind eher drei…

  • Sich von „wirklich nachhaltig” als Ziel zu verabschieden. Besser „nachhaltiger als letztes Mal” mit dem klaren Bekenntnis zu Verbesserungen, die bei der jeweils folgenden Veranstaltung in Angriff genommen werden. Nachhaltigkeit sollte gedacht werden als die Summe vieler kleiner Schritte, die nach und nach eingeführt und umgesetzt werden.
  • Schwerpunkte setzen, auf die Bereiche mit dem größten Hebel und der höchsten Sichtbarkeit, nicht auf die mit der größtmöglichen Effizienz. Das bedeutet übrigens auch, das Thema “Mobilität bei An- und Abreise der Gäste” zunächst (!) außen vor zu lassen – auch wenn wir wissen, dass hier gut und gerne 75% der Emissionen im Zuge eines Events entstehen. Die Effizienz ist also potenziell hoch, der Hebel aber, also der direkte Einfluss der Veranstaltenden auf das Ergebnis, sehr klein. Am Ende des Tages sind es ja doch immer individuelle Entscheidungen des einzelnen Gastes, wie nachhaltig die eigene Reise gestaltet wird; ÖPNV-Angebot und beste Planung im Vorfeld hin oder her.
  • So nah am Menschen bleiben wie möglich: damit gemeint ist Catering und all das, was einem Gast auf einem Event direkt begegnet, also sicht- und erlebbar ist. Vegetarisches & veganes Essen nicht als Alternative, sondern als Standard anbieten; Fleisch nur als zusätzlichen Baustein einsetzen (“Fleisch als Topping”). Ein nachhaltiges Lanyard statt ein in der Plastikhülle steckender Ausweis. Printprodukte vermeiden und dafür in eine robuste Event-App investieren, die sich auf genau drei Kernaufgaben konzentriert: Stundenplan, Navigation vor Ort und die Vernetzung der Teilnehmenden.
Nils Cordell, Geschäftsführer der Cordell GmbH und Tanzloft GmbH
Foto: V. Behringer

Nils Cordell ist Geschäftsführer der Cordell GmbH und Tanzloft GmbH. Der Projektleiter des Euro Dance Festivals sowie Festivalleiter des Line Dance Festivals im Europa-Park hat 2023 zusammen mit Heiner Weigand das Buch „Nachhaltigkeit im Eventmanagement“ veröffentlicht, das PlanerInnen Lösungen für das Organisieren nachhaltiger Events bietet.

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit lesen Sie in der neuesten Ausgabe der CIM.