Es geht fast alles

Mittwoch, 09.10.2019

Deutschlands Kongress­zentren profitieren von Leitmessen. Die Heraus­forderungen sind jedoch verschieden. Die „Seven­Centers“ fokussieren die Zukunft.

Location. „Bei Weltleitmessen ist die Belegung und Auslastung eines Kongresszentrums mit externen Kunden nicht immer einfach“, beschreibt Andrea Bisping eine Her­ausforderung für ihr Team. Seit 2008 leitet sie das ICM – Internationale Congress Center München mit 20 Sälen und 7.000 qm Ausstellungsfläche. Gemeinsam mit der Messe München und dem MOC Veranstaltungscenter firmiert es als Messe München Locations. Das ICM zählt jährlich rund 80 Veranstaltungen mit über 100.000 Gästen.

Flächen-Weltmeister war Anfang April 2019 erneut die Bauma: Mit insgesamt 614.000 qm belegt sie alle Hallen des Messegeländes, das komplette Freigelände und Bereiche des ICM. So wurde die Halle B0 für das neue Format „Bauma Plus“ genutzt. Das ICM-Foyer stand mit „Think Big!“ im Zeichen des Nachwuchses. Große Unternehmen, Universitäten und Institutionen gaben Schülern dort Einblicke in technische Berufe und Ausbildungswege. Anhand von Mitmach­aktionen oder Simulatoren demonstrierten sie, wie Baumaschinen funktionieren.

Eine Premiere feierten die Bauma und das ICM mit den „Bauma Bavarian Nights“ als Networking „auf bayerische Art“ und neues Eventformat. Die Aussteller hatten die Möglichkeit, ein Kontingent im Saal 14 des ICM zu buchen. Dort erlebten ihre Kunden nach Messeschluss ein Festprogramm ganz in der Manier des Oktoberfestes. Eine Wiesnband spielte, Trachtengruppen traten auf, Schausteller, Bierbänke und entsprechende Kulinarik inklusive.

Als ICM-Chefin setzt Bisping nun darauf, potenzielle Gastveranstalter großer Messen zu inspirieren und zu animieren, „weil sie sehen, was das ICM ergänzend zu einer Messe kann“. Damit meint sie auch die Technik: „Einige unserer Veranstaltungen benötigen, speziell hinsichtlich der Netzwerktechnik, einen extrem hohen Aufwand“, resümiert Bisping. „Oftmals ist es sogar so, dass für alle wichtigen technischen Bereiche – Ton, Licht, Bildübertragung etc. – redundante Systeme aufgesetzt werden. So sind im Falle eines Falles die wichtigsten Grundsysteme versorgt.“

Ihren Hub27 mit Platz für 11.500 Gäste hat die Messe Berlin Mitte August eröffnet (s. S. 32). Senior Vice President Dr. Ralf Kleinhenz betont deren Multifunktionalität, wie auch die des CityCubes: „Beide Gebäude sind durch überdachte Übergänge nahtlos an die Messehallen angebunden. Unsere Leitmessen ITB, Internationale Grüne Woche, IFA und InnoTrans nutzen das gesamte Gelände inklusive der Kongressgebäude“, erläutert Dr. Kleinhenz: „Dieses Jahr tragen sechs Eigenveranstaltungen zur Auslastung bei.“

Zentrale Herausforderung im Kontext der Leitmessen seien die großen Anforderungen an die Gebäude. So nutze die IFA den CityCube als Messehalle für Samsung. Bei der ITB werde es zur Location der Eröffnungsfeier: „Im Rahmen der IGW findet hier das Global Forum for Food and Agriculture mit rund 70 Agrarministern der ganzen Welt statt.“ Berliner Messeabteilungen passen Ausleuchtung, Bestuhlung, Catering und Raumaufteilung entsprechend an. Hingegen sei das Team Guest Events damit beschäftigt, „für weitere Interessenten überhaupt noch freie Slots zu identifizieren“, freut sich Kleinhenz.

Steigenden Bedarf für messebegleitende Events konstatiert auch Düsseldorf Congress (DC). Ab Oktober trete „der Messezyklus wieder in seine intensivste Phase ein“, berichtet eine Sprecherin. Internationale Leitmessen wie K (Kunststoff + Kautschuk), Medica, Boot, Euroshop, Interpack und Drupa füllen auch die DC-Locations: „Während dieser Großveranstaltungen werden häufig alle der bis zu 100 Räume in den Hallen und Kongresszentren belegt.“ Insofern bildeten Leitmessen das Gerüst für innovative Formate und Highlights.

Als Herausforderungen neben erheb­lichem Kommunikationsumfang nennt die Sprecherin sich örtlich und zeitlich überschneidende Kundenwünsche sowie den reibungslosen Ablauf vieler Parallelveranstaltungen. Das Steuern der Gewerke sowie das Berücksichtigen kultureller Unterschiede einer internationalen Klientel sei komplex und erfordere Einfühlungsvermögen.

Dabei „hilft uns die Digitalisierung“, betont sie. Das „Online-Order-System“ hole Aussteller lange vor der Messe ab. Raum­bestellungen würden optimiert und trans­parenter. Zudem erneuere Düsseldorf Congress seine internen Workflow-Prozesse und erleichtere Kunden die Messeplanung mit digitalen Tools. Um vorab die wichtigsten Fragen zu beantworten und auch Lösungen anzubieten, wird ein Relaunch der Website vorbereitet. Aktives „Review Management“ solle die Kundenzufriedenheit steigern und das Angebot optimieren.

Hotelzimmer fehlen Joachim König, trotz des weltgrößten Messegeländes, „für das Akquirieren eigener Kongresse“. Dafür profitiere das Hannover Congress Centrum in Form der Eröffnungsveranstaltung der Hannover Messe, sagt dessen Direktor. Ein- bis zweimal im Jahr kommen Einzelveranstaltungen, meist im Bankettbereich, während großer Messen hinzu.

Den Bauma-Baggern folgten im Münchner ICM eine Reihe Hauptversammlungen. Treue Kunden sind die Münchener Rückversicherung mit rund 3.500 Aktionären im April sowie die Aktiengesellschaften BayWa und Wacker Chemie im Mai. Das ICM-Team hat die Hauptversammlungen von ProSiebenSat.1 Media und Knorr-Bremse sowie die Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe für den September 2020 gewonnen. „Viele Unternehmen nutzen das ICM bereits seit seiner Eröffnung vor über 20 Jahren. Wir sind gut und recht weit im Voraus gebucht“, erläutert Bisping.

Für „Bits & Pretzels“ ist das Zentrum im September erneut Gastgeber. Als Keynote-Speaker des Gründerfestivals tritt Ex-US-Präsident Barack Obama auf. Vom 17. bis 19. Oktober folgt der Bundesverband Praktizierender Tierärzte, am 6./7. November das Fujitsu Forum. Die gute Zusammenarbeit mit dem Kongressbüro und den Standortpartnern zahle sich aus, unterstreicht Bisping.

Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart sind die „Seven Centers of Germany“. Laut Sprecherin Bisping unterstützt die Marketingkooperation Deutschlands größter Kongresszentren mit direkter Messeanbindung das GCB. Ziel sei, den „Top-Tagungsstandort national und international zu vermarkten.“ So unterstützen die Sieben die Studie „Future Meeting Space“. „Für uns ist es sehr wichtig, die Zukunft der Kongresse, Events und Tagungen mitzugestalten“, betont die Kongressexpertin.

Christian Boergen