Perfekte Inszenierung

Montag, 06.12.2021

Back to normal? Nicht ganz, die Meetingwelt ist im Wandel. Persönliche Begegnung und Kreativität bereichern analoge, Tempo und Nachhaltigkeit virtuelle Veranstaltungsformate.

Inszenierung. Kuratiert werden heute längst nicht mehr nur Ausstellungen, sondern auch Veranstaltungen. KuratorInnen sind MacherInnen und Kümmerer/Kümmerinnen, ihre Tätigkeit Kuratieren bedeutet dem lateinischen Wortsinn nach „sorgen, pflegen“. Das passt zur Restart-Situation der Branche, in der Pflege und Sortierung mehr denn je gefordert sind, weil Inszenierungen oft völlig neu konzipiert werden müssen.

Dies gilt auch für die EXPO 2020 Dubai, die pandemiebedingt erst am 1. Oktober 2021 mit dem Motto „Connecting Minds, Creating the Future“ eröffnet hat und bis zum 31. März 2022 zu sehen sein wird. Der von der KoelnMesse als Durchführungsgesellschaft betreute Deutsche Pavillon heißt „Campus Germany“ und ist dem Edutainment verpflichtet. Das vertikale Baukörperensemble besteht aus einer von einem Bälle­bad bespielten Welcome Hall, dem Energy-, Future City- und Biodiversity-Lab und der Graduation Hall. Das Atrium in der Mitte besteht aus einer Tribüne mit 120 Plätzen und der Kulturbühne, die über Sichtachsen von überall aus einsehbar ist.

„Es geht uns um ein Marktplatzkonzept mit unterschiedlichem Zielgruppenfokus, wo während sechs Monaten insgesamt 1.800 Programmpunkte realisiert werden“, erläutert Mike Heisel. Der Kurator des Kulturprogramms des Campus Germany versteht Kultur als Spiegelbild der Gesellschaft und kreiert durch Kooperationen mit Unternehmen wie Henkel oder Miele diverse Erlebnisräume, wo neben Vorführungen auch die Partizipation der persönlich angesprochenen Besuchenden angeregt wird.

„Der strenge Covid-19-Guide reguliert den Publikumsstrom, gleichzeitig ist die Ansprache individualisiert. Insgesamt mussten wir das Programm anpassen, weil ursprünglich für 2020 angedachte Fokus-Themen wie ‘250 Jahre Beethoven‘ nun nicht mehr ganz aktuell sind“, sagt Heisel, der mit seinem Team 80 Prozent des geplanten Programms neu kuratiert hat. Besonders schmerzt ihn, dass zahlreiche Kreative, die ihre Teilnahme für das ursprüngliche Programm zugesagt hatten, inzwischen in anderen Broterwerbsjobs tätig sind: „In der Kreativszene ist ein Aderlass von 35 Prozent zu beklagen.“

„Feel the Spirit of Innovation“ lautet das Motto des Baden-Württemberg-Pavillons, der ein Schaufenster des Know-hows in Deutschlands Südwesten und als einziger Regions-Pavillon ein Solitär der EXPO ist. Mit der Konzeption und Ausführung der Pavillonausstellung wurde vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg die Agentur Milla & Partner beauftragt. Kreativdirektor Peter Redlin inszenierte den innovativen Spirit als Blautopf-Quelle, das „Field of Innovation“ als stimmungsvollen Ort mit interaktiven Stationen und einen Raum mit „Forest Diary“ als Einladung zu Entschleunigung und Inspiration.

Dass es künftig weniger Kongresse und weniger Teilnehmende geben werde und das Kuratieren von Kongressen und Events nach der Pandemie veränderte Ansprüche erfüllen müsse, ist die Überzeugung von Agenturchef Johannes Milla. „BesucherInnen, die kommen, verlangen bessere Vorträge, bessere Workshops, relevante Inhalte, echte Mehrwerte – und weniger protokollarische Rituale. Reisen und Zeit werden wertvoller und ausgesuchter. Agenturen haben noch mehr an Inhalten mitzuwirken, für noch mehr Relevanz zu sorgen“, sagt Milla. Der langjährige Event-Experte freut sich über den Restart der Veranstaltungswirtschaft, „denn alle noch so gut kuratierten Remote-Formate und -Tools können eines nicht: gute Zufälle erzeugen.“ Bei RemoteKongressen vermisst er Konversationspausen für informelle Gespräche und plädiert deshalb dafür, längere Pausen einzuplanen: weniger Reden, mehr miteinander reden.

Wie virtuelle Formate die Meeting-Kultur in Pandemiezeiten am Leben gehalten und manchen VeranstaltungskuratorInnen zu großem Erfolg verholfen haben, zeigt der Blick auf die Agentur Proske, die 2020 als bestes Geschäftsjahr der 35-jährigen Firmengeschichte abschließen konnte. Mehr Tempo in der Teilnehmenden-Journey und höher gesteckte Nachhaltigkeitsziele sind für Co-CEO Larissa Steinbäcker die wesentlichen neuen Anforderungen beim Kuratieren von Veranstaltungen, wobei virtuelle Events durch die Pandemie in den Fokus gerückt seien. „Die dadurch generierten neuen Datenpunkte müssen analysiert und genutzt werden. Zielvorgaben lassen sich nun punktgenau bewerten, wobei der Content selbst während des Events noch adaptiert werden kann: Unser Job ist somit deutlich schneller geworden, und die Beratung unserer KundInnen ist essenziell“, berichtet Steinbäcker. Oft werde der Veranstaltungsablauf gemeinsam mit dem/der Kunden/Kundin kurzfristig umdisponiert, etwa um Grafiken, Inhalte oder die Navigation für den Folgetag anzupassen.

„Unsere virtuelle Plattform hatte vor Corona die Intention, Veranstaltungen langfristig nachhaltiger umzusetzen; dies ist jetzt ganz nebenbei automatisch passiert“, beobachtet die Co-CEO von Proske. Die KundInnen fragten proaktiv, ob Events tatsächlich face-to-face stattfinden müssten und wie mit virtuellen Formaten das CO2-Konto aufgebessert werden könne. Um die CO2-Einsparung für Teilnehmende sichtbar zu machen, wurde für eine Veranstaltung ein „Sustainability Tree“ gepflanzt, bei dem die Delegierten ihren Abflughafen für die Anreise eingeben konnten. Resultat seien ein gutes Gefühl und das Fazit, dass virtuelle Veranstaltungen einen echten Mehrwert haben können, resümiert Steinbäcker. Katharina Brauer

Katharina Brauer