Viel Arbeit, die sich lohnt

Mittwoch, 30.10.2024
Schon bald gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, digitale Inhalte müssen dann für alle Menschen zugänglich sein. Wer die Maßnahmen schnell umsetzt, kann profitieren.
Barrierefreiheit, Tastatur

m 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Photo: abdoudz / iStock

Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Hinter dem Wortungetüm verbirgt sich eine Maßnahme, die es beeinträchtigten Menschen erlaubt, digitale Inhalte ohne fremde Hilfe nutzen zu können.

Umsetzen müssen die Regelung unter anderem alle Unternehmen, die digitale Dienstleistungen wie einen „elektronischen Geschäftsverkehr“ im B2C-Bereich anbieten – und damit auch alle Event-PlanerInnen, sofern sie eine Buchungs- oder Bezahlmöglichkeit auf ihrer Internet-Seite offerieren und Veranstaltungen für Endkunden planen. Erst mal von der Umsetzung befreit sind Unternehmen mit weniger als zehn MitarbeiterInnen oder einem Jahresumsatz von weniger als zwei Millionen Euro.

Dagegen kann natürlich niemand etwas einwenden – denn zum einen ist Teilhabe ein wichtiges gesellschaftliches Gut, zum anderen möchte man ja auch, dass möglichst viele Menschen die eigene Internet-Seite nutzen können. Anstrengend umzusetzen ist die EU-Richtlinie, die zum genannten Stichtag in deutsches Recht umgesetzt wird, selbstverständlich trotzdem.

Da die Uhr nun schon ziemlich laut tickt, hat der Deutsche Reiseverband Anfang September ein Webinar zum Thema durchgeführt. Darin erklärten die Experten Tim Wessel von der Internet-Agentur Team Neusta und Marcus Dreyer von der Unternehmensberatung Crossnative, worauf Unternehmen aus der Branche achten müssen.

Nutzen für alle Beteiligten

„Im Jahr 2023 waren etwa drei Viertel der Webshops nicht barrierefrei“, sagt Dreyer – und befürchtet, dass sich seit dieser letzten Erhebung kaum etwas verbessert hat. Ihm ist es wichtig, nicht den bürokratischen Aufwand, sondern den Nutzen des BFSG für alle Beteiligten in den Vordergrund zu stellen.

„Behindert ist, wer behindert wird“, sagt Dreyer. „Uns als Gesellschaft, aber auch jedem einzelnen Unternehmen muss daran gelegen sein, dass digitale Dienste von möglichst vielen Menschen genutzt werden können.“ Dabei verweist er auf den so genannten „Bordsteinkanteneffekt“ aus der analogen Welt: Werden Bordsteinkanten abgesenkt, hilft das nicht nur Menschen im Rollstuhl, sondern auch dem Vater mit Kinderwagen, dem Paketboten, der älteren Frau, die nicht mehr so gut gehen kann, dem jungen Mann auf Krücken oder der Touristin mit Rollkoffer.

„Ein abgesenkter Bordstein ist damit essenziell für wenige, aber nützlich für alle“, so Dreyer. „Da müssen wir in der digitalen Welt auch hinkommen.“

Websites müssen den EU-Vorgaben zufolge künftig in den Bereichen Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit barrierefrei sein – insgesamt gibt es 120 Prüfkriterien. Nur zwei kleine Beispiele: Videos müssen gut lesbare Untertitel haben, ein Bild mit einem ALT-Text versehen sein, der genau beschreibt, was auf dem Bild zu sehen ist. Wichtig zudem: Auch Inhalte von Drittanbietern, die auf der eigenen Website platziert werden, müssen den Vorgaben entsprechen.

Die Abmahner stehen bereit

Nun zum unschönen Teil: Zwar kann man mit verschiedenen Tools wie Lighthouse, Axe DevTools oder HeadingsMap herausfinden, wie gut die eigene Website in Sachen Barrierefreiheit schon aufgestellt ist, diese prüfen in der Regel aber nur etwa ein Drittel der Kriterien. Für die Erhebung des Status Quo sowie die Umsetzung muss man daher mit spezialisierten Digital-Agenturen zusammenarbeiten. Ganz günstig wird das nicht.

Allerdings: „Sie können davon ausgehen, dass die Abmahn-Kanzleien schon in den Startlöchern stehen und hohe Bußgelder verlangen werden“, so Dreyer. Auch die Abschaltung der Website sei möglich.

Punkten können Wessel zufolge hingegen solche Anbieter, die ihre Online-Dienste schnell an das neue Recht anpassen. „Wenn Menschen mit Beeinträchtigungen eine Seite gefunden haben, mit der sie gut zurechtkommen, bleiben sie da in der Regel auch.“ Weiterer positiver Nebeneffekt: Auch Suchmaschinen belohnen barrierefreie Inhalte und ranken diese entsprechend höher.

Die Empfehlung der Experten ist also eindeutig: „Gehen Sie das Thema baldmöglichst an. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.“

Susanne Layh