Erst die Arbeit …

Dienstag, 12.03.2024
… dann das Vergnügen! Oder doch lieber anders­herum? „Bleisure“ nennt man es dieser Tage, wenn Freizeit- und Geschäftsreisen kombiniert werden. Neben einem dicken Plus für die Umwelt und die persönliche Work-Life-­Balance verspricht der Trend auf Anbieterseite neue Chancen, hält aber auch Herausforderungen bereit.

Die Türen des Konferenzsaals schließen sich, ein Pulk von Menschen schiebt sich durch die Gänge. Draußen angekommen – die letzten Sonnenstrahlen des Tages kitzeln auf der Nase, das Jackett wird über die Schulter geschwungen, nur wenige Meter sind es bis zum Strand. Hier werden die Füße in den noch warmen Sand und das Jobhandy in die Tasche gesteckt. Und da bleibt es die nächsten Tage – der Urlaub kann starten! So oder so ähnlich könnte es im Idealfall ablaufen, wenn Sie an Ihre nächste Dienstreise noch ein paar Tage privaten Urlaub hängen. „Bleisure“ lautet das Buzzword der Stunde, das „Business“ und „Leisure“ verschmelzen lässt und Arbeit und Freizeit auf dem bestmöglichen Wege kombinieren will.

Wer sich zu einer Bleisure-Reise entscheidet, liegt damit voll im Trend. Dass Business-Reisende vermehrt verschiedene Anlässe zu einer einzigen Reise verknüpfen, bestätigt etwa die Studie „Portrait of European Meeting & Convention Travel“ von MMGY Global, die unter anderem durch das German Convention Bureau unterstützt wurde. Europaweit wurden im Sommer 2023 Meeting Professionals befragt, von denen fast die Hälfte in der Vergangenheit bereits ihre Geschäftsreise für eine private Auszeit verlängert hatten. Rund 60 Prozent werden diese Möglichkeit in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich wieder nutzen und 66 Prozent der TeilnehmerInnen planen, eine solche Reise in Begleitung zu unternehmen. Insbesondere jüngere Befragte im Alter zwischen 25 und 45 verlängern laut Studie ihre Aufenthalte und nutzen die Möglichkeit des Bleisure Travels.

Dabei sind Bleisure-Reisen natürlich keine neue Erfindung – Geschäftsreisende, die ihre Dienstreise für private Zwecke verlängern, gibt es schon immer. Benannt haben das Phänomen aber erstmals 2009 die beiden Zukunftsforscher Jacob Strand und Miriam Rayman, die „Bleisure“ in ihrem halbjährlich erscheinenden „Trend Briefing“ für das Future Laboratory verwendeten. Spätestens seit Wegfallen der Auflagen und Reisebeschränkungen im Rahmen der Covid-19-Pandemie ist Bleisure nun in aller Munde. Die Reiselust jener, die nicht reisen durften und wollten, ist neu entfacht und die Sehnsucht, andere Orte zu erkunden, ist nach wie vor groß. Und: Die Pandemie hat ArbeitnehmerInnen wie Arbeitgeber gelehrt, dass effektives Arbeiten – wenn es der Job zulässt – in den meisten Fällen nicht ans Bürogebäude gebunden ist. So wird das neu erlernte flexible Arbeiten immer mehr zum Standard, durch Bleisure-Trips oder via Workation – ein verwandter, aber doch nicht zu vergleichender Trend, bei dem der Arbeitsplatz für längere Zeit an einen anderen Ort verlegt wird, oftmals in eine Urlaubsregion.

Halber CO2-Ausstoß, doppelter Benefit

Die Vorteile von Bleisure-Trips aufzuzählen, fällt nicht schwer. Das Zusammenlegen von Arbeits- und Privatreise lässt den ökologischen Fußabdruck schrumpfen. Auch die monetären Ausgaben der (Geschäfts-)reisenden sinken im besten Fall, wenn der Arbeitgeber die Kosten für An- und Abreise ganz oder anteilig übernimmt. Zeit und Urlaubstage werden gespart und der Work-Life-Balance kommen ein paar Tagen Freizeit vor oder nach der Geschäftsreise auch noch zugute. Wenn Familienangehörige vielleicht sogar mitreisen können, umso besser.

Aber nicht nur für ArbeitnehmerInnen macht sich das bezahlt: „Immer mehr Unternehmen erkennen die Vorteile von Bleisure Travel“, erläutert Andreas Neumann, Geschäftsführer des ADAC Reisevertriebs, im Rahmen der Studie „Chefsache Business Travel“, einer Initiative von Travel Management Companies im Deutschen Reiseverband (DRV). „Dadurch lässt sich nicht nur die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeitenden steigern, sondern auch die Attraktivität als Arbeitgeber. Das zahlt sich im Kampf um Talente aus.“ Bereits 89 Prozent der Geschäftsreisenden können die Kombination aus Dienstreise und Urlaub demnach bereits nutzen. Knapp über die Hälfte der Befragten arbeitet dabei in einem Unternehmen, das die gesamten Kosten für An- und Abreise übernimmt.

Um Fallstricke in diesem Kontext zu vermeiden, sollten Unternehmen für Bleisure-Reisen allerdings vorab Leitlinien kommunizieren. Es sollte klar sein, wer welche Kosten trägt und wie der/die Angestellte zu welchem Zeitpunkt des Trips im Notfall versichert ist. Denn wird eine Dienstreise im Ausland für private Zwecke früher angetreten oder verlängert, greift hier beispielsweise nicht die gesetzliche Unfallversicherung.

Auf veränderte Anforderungen eingehen

Neue Chancen eröffnet der Bleisure-Trend auch auf Anbieter-Seite. Geschäftsleute, die sonst nur unter der Woche zu Gast waren, verlängern ihren Hotelaufenthalt immer öfter über das Wochenende. Laut Corporate-Payment-Spezialist Airplus starteten 2023 15,6 Prozent der Reisen an einem Wochenende, ähnlich wie bereits 2022 (16,3 Prozent). 2019 lag der Wert noch bei lediglich 12,8 Prozent. Hotels sind also gefragt, ihr Angebot entsprechend anzupassen – eine stabile Internetverbindung und angenehme Arbeitsumgebung für den Business-Teil des Trips verstehen sich hierbei von selbst.

So bietet etwa die BWH Hotel Group Central Europe mit ihrem Produkt „Longstay@Best Western“ seit 2021 eigene Apartments und spezielle Services in über 80 Häusern der Hotelgruppe. Die im Lockdown geborene Idee, den Menschen einen Rückzugsort zu bieten und Longstay-Angebote aktiv zu vermarkten, richtet sich inzwischen sowohl an Geschäftsreisende als auch an Privaturlauber, die etwa als Familie verreisen. „Zum Teil werden auch Geschäftsreisen mit Urlaubsaufenthalten kombiniert – Stichwort Bleisure! Wir als Hotelgruppe haben auf diese Nachfrage aus den verschiedenen Zielgruppen reagiert und uns mit diesem Long­stay-Angebot für die Zukunft noch breiter aufgestellt“, erklärt Carmen Dücker, Geschäftsführerin BWH Hotel Group Central Europe die Investition.

Die Hotels der BWH Hotel Group Central Europe bieten ihren Longstay-­Gästen einen privaten Rückzugsraum mit Koch­gelegenheit und genug Platz, um ge­mein­sam Zeit zu verbringen. Im Bild: Elements Resort Zell am See, Österreich, BW Signature Collection
Foto: BWH Hotels Central Europe

Die spanische Hotelgruppe Mélia will mit ihrer Marke „Innside by Mélia“ ganz konkret Bleisure-Reisende ansprechen. „In dem Maße, wie sich unsere Kunden an den neuen Bleisure-Trend anpassen, tut dies auch Innside“, heißt es im Fact Sheet der Marke. „Wir entwickeln uns weiter, um smarten Geschäftsreisenden ein zwangloseres, moderneres und intensiveres Erlebnis zu bieten.“

Das Werben mit modernsten Arbeits­bereichen sowie Wellnessangeboten und kulturellen Aktivitäten vor Ort gehört dabei ebenso zur Agenda wie strategische Neu­eröffnungen in klassischen Urlaubsdestinationen wie Mallorca und Bali.

Kreative Angebote gefragt

Es sind gerade solche Tourismusdestinationen, die sonst starken saisonalen Schwankungen unterliegen und daher besonders von Bleisure-Gästen abseits der üblichen Urlaubszeiten profitieren. Umgekehrt sorgt ein attraktives Reiseziel mit der Möglichkeit für Freizeiterlebnisse vor oder nach dem Event auch für eine stärke Magnetwirkung von Konferenzen und Tagungen. So fokussieren sich Meetingdestinationen zunehmend darauf, für Tagungsgäste Anreize zu schaffen, die zu einer Verlängerung der eigentlichen Dienstreise einladen.

Vergangenes Jahr wurde die von der mainzplus Citymarketing GmbH für das Convention Bureau Rheinland-Pfalz beantragte Förderung beim rheinland-pfälzischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau bewilligt, mit der eine groß angelegte Marketingkampagne Aufmerksamkeit auf die Destination als Bleisure-Ziel legt. Hier hängen Sportbegeisterte an ihre Geschäftsreise einfach noch ein paar Extra-Tage zum Mountainbiken durch den Hunsrück, Geschichtsinteressierte verlängern ihren Tagungsaufenthalt, um UNESCO-Weltkulturerbestätten wie den Dom zu Speyer oder das römische Trier und die Porta Nigra zu besichtigen.

„Convention meets Culture“ lautet das passende Motto dazu. Mit dem Angebot „Stay a little bit longer“ erhalten Geschäftsreisende dann auch noch einen Rabatt von 20 % auf den verlängerten Aufenthalt in der teilnehmenden Hotellerie. Der geschäftliche Aufenthalt wird unter Angabe der geschäftlichen Rechnungsadresse in einem der Partnerhotels gebucht, unter Angabe der privaten Rechnungsadresse wird dieser verlängert. „Wir freuen uns – dank der Bereitschaft unserer Partnerhotels – unser Bleisure-Portfolio ausweiten zu können und Geschäftsreisenden in unseren städtischen Tagungsdestinationen zukünftig mit „Stay a little bit longer…“ ein konkretes Angebot machen zu können. Warum sollten wir das Nützliche nicht mit dem Schönen verbinden?“, so Fabienne Schönweitz, Projektleitung des CB Rheinland-Pfalz.

Dass die Bemühungen europäischer Convention Bureaus im Kontext des Promotens von Bleisure-Reisen jedoch sehr unterschiedlich sind, zeigt der Bericht „European Convention Bureaus‘ Strategies to Promote Bleisure“. Für diesen haben Dr. Rob Davidson, Managing Director des Beratungsunternehmens MICE Knowledge, und Oliver Kesar von der Universität Zagreb 88 Convention Bureaus aus 27 europäischen Ländern befragt – und Antworten erhalten, die von minimalem Engagement bis hin zu vollem Einsatz für die Maximierung der Vorteile von Bleisure zeugen. Demnach sind nur zwei der Convention Bureaus der Meinung, dass Bleisure nicht genügend Vorteile für ihre Destination bietet. 41 Kongressbüros sehen hingegen die Vorteile, wissen jedoch nicht genau, wie diese Reisen generiert werden könnten. 21 der Convention Bureaus haben bereits spezielle Marketingkampagnen durchgeführt, um Business Traveller zu längeren Aufenthalten zu bewegen.

Der Bericht enthält mehrere Beispiele für bewährte Praktiken zur Förderung von Bleisure, die von anderen Convention Bureaus adaptiert werden können. Ein Positiv-Beispiel stammt aus Breslau: „Bei ausgewählten Kongressen und Konferenzen, die hier stattfinden, versuchen wir, die Organisatoren vor Ort davon zu überzeugen, zusätzlich optionale Ausflüge, Besichtigungen usw. anzubieten, damit die Teilnehmer zu einem längeren Aufenthalt in der Stadt oder sogar in der Region bewegt werden,“ erklärt Agnieszka Szymerowska, zum Zeitpunkt der Umfrage Präsidentin des Convention Bureaus Wrocław.

„Dieser Prozess beginnt bereits in der Frühphase der Angebotsabgabe. Im Angebot kommunizieren wir mögliche Aktivitäten vor und/oder nach der Hauptveranstaltung. Manchmal bereiten wir eine zusätzliche Präsentation mit Schwerpunkt auf Ausflugsmöglichkeiten vor, oder wir fragen Hotels nach Sonderpreisen für Teilnehmende, die länger in der Stadt bleiben. Wenn die Organisatoren vor Ort Interesse haben, veranstalten wir gegen Gebühr mit lokalen Partnern spezielle Touren für die Teilnehmenden.“ Dass Bleisure ein wichtiger Trend und eine Chance für die Destinationen sei, um Geschäftsreisende zu Freizeitzwecken länger vor Ort zu behalten, dessen sei sich das Convention Bureau voll und ganz bewusst.

Dr. Rob Davidson ist Geschäftsführer von MICE Knowledge, einem Beratungs­unter­nehmen, das Forschungs- und Beratungs­dienstleistungen für die Tagungs-, Incen­t­ive-, Konferenz- und Veranstaltungs­branche anbietet
Foto: Dr. Rob Davidson

„Win-Win-Win“

Als „Win-Win-Win“-Situation beschreiben so auch die Autoren die vielen Pluspunkte, die Bleisure-Reisen für die Reiseziele, die Konferenzveranstalter und die Teilnehmer bringen. Dr. Rob Davidson ist davon überzeigt, dass Convention Bureaus bei der Erzielung dieser Vorteile für die von ihnen vertretenen Reiseziele eine zentrale Rolle spielen: „In der heutigen Zeit ist jeder Besucher, der in unsere Städte kommt, wichtig wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung,“ betont er. „Bleisure ist ein Mittel zur Maximierung der durch unsere Geschäftsreisenden erzielten Erträge. Es bedeutet aber auch, dass sie einen besseren, ganzheitlicheren Eindruck von dem besuchten Ort bekommen und ihren Freunden, Familien, Nachbarn und Kollegen von den Freizeit- und Kulturangeboten berichten können. Wenn sie dort mehr Zeit verbringen, sehen sie mehr als nur die vier Wände der Tagungsstätte. Vor allem aber ist Bleisure für unsere jüngeren Geschäftsreisenden ganz selbstverständlich, da sie motiviert sind, in ihrem Leben die Arbeit mit dem Vergnügen zu verbinden. Dank der Steigerung der Einnahmen durch diese Besucher und die Messung der zusätzlichen Ausgaben können die CBs nachweisen, dass sie eine höhere Investitionsrendite erzielen.“ Es lohnt sich also, das Potenzial, das in Bleisure-Trips steckt, auch auszuschöpfen – für alle Beteiligten.

Johanna Palmu