Künstliche Intelligenz – Buzzword oder Revolution?

Mittwoch, 27.12.2023
In zahlreichen Branchen wirbeln neue Technologien, die auf Künstlicher Intelligenz basieren, derzeit den Markt auf – und bieten auch zwischen MICE und Hospitality vielseitige Einsatzmöglichkeiten. In einer Zeit, 
in der viele Betriebe neben Personalmangel auch mit hohen Dienst­leistungskosten kämpfen, kommt die Hilfe durch KI gerade recht, 
stößt aber auch stellenweise an ihre Grenzen.

Überall revolutionieren aktuell neue Technologien den Markt. KI bietet vielseitige Anwendungsmöglichkeiten – auch in der MICE-Industrie oder in der Hotellerie. Foto:

Quasi ohne Bedenkzeit kommt ChatGPT – das offene, kostenlose ­KI-Tool, das seit Monaten in aller Munde ist – auf 14 Punkte, bei denen es einem beim Planen und Veranstalten von Events behilflich sein kann. Von der Location- und Dienstleistersuche, über die Konzepterstellung bis hin zur Kommunikation mit den TeilnehmerInnen. Zu schön, um wahr zu sein? Gefahr für die Branche, ihre digitale Sicherheit oder die Arbeits­plätze der Menschen, die mit Event-Planung ihr Geld verdienen? Oder wirklich eine langersehnte Chance für mehr Effizienz im Alltag?

Wenn man mit Fachleuten spricht, liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Wo das Werkzeug – selbstredend – eher früher als später an seine Grenzen stößt, strömen mehr und mehr hochspezialisierte KI-Tools 
auf den Markt, deren Einsatz Hotel- und Event-Profis in hohen 
Tönen loben: Chatbots zur Kommunikation mit Gästen, ­automatisierte Buchungssysteme, Tools zur Content-Erstellung für ­Marketing und Social Media. Dinge, die die repetitiven Alltagsaufgaben erleichtern und 
in ­vielen Teams im Idealfall dafür sorgen, dass die ­Beschäftigten mehr Zeit für andere Aufgaben aufwenden können – statt wie von manchen ­befürchtet wegrationalisiert oder dezimiert zu werden.

Denn natürlich kommt bei der rasend schnellen Entwicklung von immer 
mehr nachgefragten Automatisierungstools nicht nur die Frage nach dem Nutzen auf, sondern auch die nach den Risiken und ­Fehlerpotenzialen, rechtlichen Fall­stricken und Grenzen der Fähigkeiten der eingesetzten Tools, die für viele Unter­nehmen In­vestitionsentscheidungen mit sich bringen. Darauf Antworten zu finden, ist auch in 
der Event-Branche eine recht ­individuelle Sache.

24 / 7-Kundenservice und 
Text-to-Speech: Wie KI 
bereits genutzt wird

Einen Weg, KI sicher zu nutzen – so sieht es etwa Tech-Expertin Dr. Nakeema Stefflbauer in einem Interview für den Blog von Berlin Convention – sei es, „schwerfällige und ­umständliche Prozesse“ im Unternehmensalltag auszumachen und durch deren Automatisierung nicht nur lästige Aufgaben auszulagern, sondern auch die „Customer ­Experience“ zu verbessern. Das könne mit Chatbots für viel gestellte Fragen passieren, mit automatisierter Übersetzung, die der Kundschaft die Kommunikation in ihrer ­eigenen Sprache ermöglicht oder mit Text-to-Speech-Tools, die Angebote für ­einen Teil der Zielgruppe barrierefrei machen.

Diese Infrastruktur nutzt auch und insbesondere die Event-Branche – viele der verfügbaren Hotels bieten eigene Tagungsräume an oder arbeiten zumindest eng mit Veranstaltungsorten zusammen. Dass in der Region auf etablierte Großkonzerne und dutzende Hochschulen auch junge Life-Science-Unternehmen und darüber hinaus mehrere tausend Modeunternehmen treffen, macht die Vielfalt der Beherbergungsbetriebe noch sichtbarer. 


CIM ALS E-PAPER

Dieser Artikel ist in der Ausgabe CIM 5/2023 erschienen, die hier als E-Paper zur Verfügung steht.

„Buzzword oder Revolution?“ lesen Sie auf den Seiten 16 bis 26 im Resort Fokus.

Einen Überblick über vergangene CIM-Ausgaben finden Sie im E-Reader-Bereich unter „Alle Ausgaben“.

CIM 5/23

Spezifisch auf die Event-Branche bezogen wird KI auch bereits eingesetzt, um anhand von Matchmaking-Tools das Netzwerken bei Veranstaltungen zu fördern und so dafür zu sorgen, dass sich Menschen mit ähnlichen Interessen oder potenziell spannenden Geschäftsbeziehungen schneller finden. Es gibt spezialisierte Texterstellungstools, die bei Werbe- und Social-Media-Texten helfen sollen, Möglichkeiten, auch ungeübt Bilder professionell zu bearbeiten und Tools, die bei der Vorbereitung und Gestaltung von Präsentationen helfen. Bei Veranstaltungen sorgen etwa Gesichtserkennungs-KIs für eine unkomplizierte Registrierung – wer Keynotes oder Diskussionsrunden aufzeichnen will, kann eine KI Protokoll schreiben lassen oder eventuell aufgezeichnete Videos automatisiert untertiteln.

Das Versprechen von
ChatGPT

Um all das zu ermöglichen, arbeiten KI-Systeme – egal ob sie schreiben, mit potenzieller Kundschaft kommunizieren oder Buchungen organisieren – mit komplizierten, auf riesigen Datensätzen basierten Algorithmen und können durch die Auswertbarkeit ihres „Wissens“ scheinbar eigenständig Entscheidungen treffen. Im Fall von ChatGPT greift das Tool etwa auf eine große Menge im Internet verfügbarer Texte zurück, um in unserem kleinen Experiment die 14 Punkte, mit denen das Tool beim Planen und Umsetzen von Events behilflich sein will, abzustecken.

In allen 14 Punkten beginnt ChatGPT sein Versprechen mit „Ich kann…“ und zählt unter dem Punkt „Tipps zur Event-Planung“ zu seinen Kernkompetenzen etwa die ­Bereitstellung von Tipps und Leitfäden zu Grundsatzthemen wie Budget-Erstellung oder Location-Suche. Zudem verspricht die KI im Fall von vorhandenen Konzeptideen, kreative Vorschläge einzubringen „für ein einzigartiges Event, das im Gedächtnis bleibt“.

Die Nutzung von KI im MICE-Sektor hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen – um 
Prozesse zu optimieren, Effizienz 
zu steigern oder um personalisierte Erlebnisse zu schaffen. Foto: iStockphoto / pixdeluxe

Zum Thema Checklisten verspricht 
das Tool, wichtige Deadlines im Auge zu ­behalten, beim Budgetieren eine realistische Einschätzung von Kosten und unter dem Punkt „Dienstleister-Empfehlungen“ heißt es, dass renommierte Partner, 
etwa FotografInnen, Catering-Betriebe oder 
andere Zulieferer gefunden werden 
könnten. Ebenfalls in der Liste, die beim ­genauen Hinsehen mit einigen Dopplungen aufwartet und damit schon mal die Sache mit den 14 Punkten revidiert, stehen ­Themen wie Marketing, Programmplanung, RSVP, Logistik und Setup, Etikette, Feedback-Auswertung und Hilfe bei der Auswahl benötigter Technik und Tools.

Die Schwäche dabei liegt klar auf der Hand: Denn selbst wenn ChatGPT mit ­modernsten Datensätzen arbeiten würde, ist das kostenlose Tool nur in der Lage, auf Basis vorheriger Events „Entscheidungen“ zu treffen. Dienstleistungsbetriebe und ­Locations, die bereits in der Branche ­bekannt und beliebt sind, werden damit höchstwahrscheinlich gefördert, neue ­Anbieter, Trends und Geheimtipps bleiben unsichtbar – womit wichtige Individualität verloren ginge und neue Marktbewerber kaum Chancen hätten, aufzufallen. So ver­lockend kostenlose Alleskönner im KI-­Bereich wirken mögen, desto schnell zeigen sich im Detail auch ihre Schwächen.

Anders läuft das teilweise bei den hochspezialisierten Programmen, die eigens auf MICE und Hotellerie zugeschnitten sind. 
So setzt etwa der Software-Hersteller Con­ventex bei seinem auf TeilnehmerInnen-­Management spezialisierten Tool Genolive auf KI, die den VeranstalterInnen Kommunikations- und Ticketing-Aufgaben abnimmt. Ein neuer KI-basierter Schreib-Assistent aus dem Hause Cvent verspricht qualitativ hochwertige Content-Erstellung, die sich ­neben inhaltlichen auch nach stilistischen Vorgaben richten kann. Und Chatbots wie Neuroflash oder Jasper Chat nehmen VeranstalterInnen kommunikative Prozesse ab, etwa im Bereich häufig gestellter Fragen.

Eine Antwort auf Personal­not: So kann KI helfen

Auch im Hotelbereich kommt KI laut einer Studie der Schweizer Hochschule HES-SO immer häufiger zum Einsatz, und das vor ­allem bei großen Ketten, jungen Unter­nehmen sowie im Luxusbereich. Zu den am regelmäßigsten eingesetzten Tools zählen hier etwa KIs, die für Gäste mit personalisierten Nachrichten und Empfehlungen eine ­individuelle „Guest Experience“ schaffen sowie Gesichtserkennungs-Programme, die unter anderem den Check-In vereinfachen. Hinter den Kulissen erleichtern etwa automatisierte Buchungs- und Revenue-­Management-Systeme oder sogenannte „Predictive Analytics“-Tools, die auf Basis historischer Daten die Auslastung berechnen, den Beschäftigten den Alltag.

Dabei hat künstliche Intelligenz gerade in der Zeit nach der Pandemie, die in vielen Bereichen der MICE-Welt eine massive ­Beschäftigtenlücke hinterlassen hat, streng genommen das beste denkbare Timing. Denn wo seit Jahren über die Folgen von ­Personalmangel diskutiert wird, kann KI zumindest einen Teil der Aufgaben erleichtern und dafür sorgen, dass die kleineren Teams Gästen nicht auffallen und sich die MitarbeiterInnen auf all jene Aufgaben, persönlichen Kontakte und kreativen Prozesse konzentrieren können, die Maschinen ihnen weder abnehmen können noch sollen.

Branchenübergreifend können zudem auch Systeme aus dem Bereich Predictive Analytics eingesetzt werden, die Catering-Betrieben beim Vermeiden von Über­produktion und Lebensmittelverschwendung helfen können und Messe-Betrieben und Veranstaltungs-Locations bei der Personalplanung unterstützen können.

„Die Reise- und ­MICE-Branche zeichnet sich durch persön­liche Bindung und außergewöhnlich guten Kundenservice aus, der sich durch Maschinen nicht replizieren lässt“

Dr. Nakeema Stefflbauer ist Expertin 
für Software-Entwicklung

Wo KI in allen dienstleistungsintensiven Branchen – und damit auch im MICE-
Bereich – fraglos an seine Grenzen stoßen wird, betrifft es Aufgaben, die persönliche ­Interaktion erfordern. Darüber sind sich auch Tech-ExpertInnen wie Dr. Nakeema Stefflbauer einig. Im Gespräch mit Berlin Convention betont sie , dass bei allem Nutzen der fortgeschrittenen Automatisierung menschliche Interaktionen nicht einfach ­ersetzt werden können: „Die Reise- und ­MICE-Branche zeichnet sich durch persön­liche Bindung und außergewöhnlich guten Kundenservice aus, der sich durch Maschinen nicht replizieren lässt“, betont die ­Mitgründerin der Nonprofit-Organisation Frauen Loop. Um ihr Potenzial zu maxi­mieren sollte Künstliche Intelligenz darum vor allem als Stütze eingesetzt werden und Prozesse effizienter gestalten, während nach außen der persönliche Kontakt nach wie vor das wichtigste Asset der Branche bleibt, rät Stefflbauer.

Touristik und MICE gehören zu den Haupt-Profiteuren von KI

Während KI in der Event- und Hotelwelt viele sichtbare Neuerungen mit sich bringt, ­haben die Technologien in anderen Bereichen bereits seit Jahren schleichend Einzug ­gehalten – das gilt vor allem für viele Tech-Anbieter und Buchungsplattformen, die sich als Pioniere in dem Bereich verstehen. Ein Beispiel dafür ist etwa die auf Geschäfts­reisen spezialisierte Plattform Travel Perk, deren CTO Ross McNairn betont, dass KI das Potenzial habe, die traditionell extrem ­hohen Dienstleistungskosten der Reisebranche zu verringern. Das mache die ­Branche zu einer der wichtigsten Profiteure der neuen Technologien.

Deshalb seien gerade auf Touristik spezialisierte Tech-Konzerne auch unter den ersten gewesen, die sich mit KI auseinandergesetzt hätten. Besonders zeigen sich die Vorteile, nach Ansicht von McNairn, in der Geschäftsreisebranche, wo Unternehmen durch den Einsatz von KI ihre Reise­kosten senken könnten. Auch der Zeitaufwand beim Planen und Organisieren von Geschäfts­reisen lasse sich senken und der Informationsfluss – ­etwa bei stornierten oder verschobenen ­Flügen – verbessern.

„Unser Wirtschaftszweig war einer der ­ersten, die sich mit KI auseinandergesetzt hat, weil er […] am meisten von ihr ­profitieren kann.“

Ross McNairn, CTO von Travel Perk

Foto: Travel Perk

Gerade weil viele Informationen in modernen Technologien dann automatisiert ­genutzt werden, zählt zu den wichtigsten Faktoren, die durch KI-Systeme an Bedeutung gewinnen, das Thema Search Engine Optimization. Denn nur wer als Unternehmen im SEO-Bereich und damit vor allem beim Marktriesen Google sichtbar ist, kann – gerade auf Buchungsplattformen – auch von KI-Systemen gefunden werden.

Relevant wird das bei all jenen Systemen und Chatbots, die automatisiert Empfehlungen oder Werbung ausspielen –auch in unserem Beispiel von ChatGPT, das verspricht, für eine Veranstaltung die optimale Location oder passende Dienstleister zu finden.

Brainstorming mit einer ­Maschine: Die „Kreativität“ von KI und wie sie sich nutzen lässt

Auf die konkrete Anfrage, wie ChatGPT einem dabei helfen könnte, eine Konferenz zum Thema KI in der MICE-Branche in Berlin auszurichten (die wie versprochen „einzigartig“ ist und „im Gedächtnis bleibt“), spuckt 
der Chatbot dann sogar ganze 15 Punkte 
aus – neben der einleitenden Anmerkung, dass es sich bei dem Plan um eine ganz ­fabelhafte Idee handle. Zunächst schlägt die KI vor, das Konzept der Veranstaltung durch KI-Demonstrationen aufzulockern und den praktischen Nutzen von KI im MICE-Bereich auch praktisch für die TeilnehmerInnen sichtbar zu machen, auch in deren persönlicher Erfahrung und im Rahmen interaktiver Workshops und Tech-Showcases. In Sachen Location-Suche verweist die KI auf die vielseitigen Möglichkeiten der Hauptstadt und betont statt konkreter Empfehlungen die Existenz diverser umgenutzter Industrie­gebäude, denkmalgeschützter Event-­Orte und „moderner architektonischer Juwelen“.

Zusätzlich zu allgemeinen Hinweisen zum Programm und der Speaker-Auswahl weist uns ChatGPT auch auf Themen wie ­Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit hin und betont, dass sich passend dazu auch demonstrieren ließe, wie KI Inklusion und Nachhaltigkeit fördern kann.

Um beim Nachhaltigkeitsthema zu ­bleiben, schlägt die App dann auch vor, „Lokal­kolorit“ in das Event einzubinden und verweist – recht vage – auf Berliner Küche und Kultur und regionale Partner. Neben Vorschlägen zu Nutzbarkeit von KI in der Nachbereitung des Events und der Verleihung ­eines „Artificial Intelligence Award“ folgt 
auf die 15 Punkte dann ein Hinweis, der ChatGPT je nach Sichtweise überraschend bescheiden oder ausgesprochen eitel wirken lässt: die Erinnerung, möglichst viele KI-Expert­Innen für die Planung des Events zu Rate zu ziehen. Nur damit ließe sich „sicherstellen, dass die Technologie effektiv in das Event eingebunden wird“.

Das Fazit? Die Lösungen für alle kreativen Aspekte, die die fiktive Veranstaltung mit sich bringt, hätte ChatGPT, zumindest auf die erste Nachfrage, sicher nicht ­gefunden. Dass der vermeintliche Alles­könner – oder besser: all jene, die die guten Ideen schon vor ihr hatten – nicht völlig nutzlos waren, lässt sich allerdings kaum bestreiten.


Beispiele: Einsatzmöglichkeiten von KI
im MICE-Bereich

  • KI-Schreibassistent von CVENT
    Tool zur Content-Erstellung und -Optimierung als integrierte Erweiterung für die Software-Produkte von CVENT. (cvent.com)
  • Zenus AI
    Bereits bei internationalen Events im Einsatz: Das Gesichtserkennungstool des US-Startups Zenus, das klassisches Ticketing durch automatisierte Gesichtserkennung ablöst. (zenus.ai)
  • Dante AI
    Chatbot, der sich Fachleuten zufolge vor allem dadurch auszeichnet, dass er sich einfach auf eigene Inhalte trainieren und ausrichten lässt. (dante.ai)
  • Spark
    Auf Event-Planer spezialisiertes Tool, das neben Content-Erstellung und Optimierung auch Analysen von Content- und Teilnehmerbefragungen beherrscht. (sparkit.ai)
  • B2Match
    KI-Tool, das auf Basis eines Algorithmus Event-TeilnehmerInnen auf Gemeinsamkeiten analysiert und auf dieser Basis Networking-Vorschläge erstellt. (b2match.com)
Sandra Kathe