Wie kaum eine andere Branche offenbart die Messewirtschaft, wie Technik stellenweise auch an ihre Grenzen stoßen kann – etwa beim Versuch, menschliche Kontakte zu ersetzen. Die Anwendungsbereiche etwa von KI im Messewesen sind vielfältig – doch die Hauptfunktion von Messen, die liegt nach wie vor näher in der realen als in der digitalen Welt, ist Wolfgang Marzin überzeugt. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe Frankfurt erläutert im Interview, dass Software, die auf sogenannter „Künstlicher Intelligenz“ basiert, bereits seit Jahrzehnten ein Thema in der Messebranche ist. Er sieht die Aufgabe von Technologien indessen darin, menschliche Begegnungen zu unterstützen und zu vereinfachen.
CIM: Herr Marzin, passen das Thema Künstliche Intelligenz und die Messewelt überhaupt zusammen?
Wolfgang Marzin: „Ganz klar liegt unser Schwerpunkt bei der Messe Frankfurt auf „People Business“, also darin, Menschen aus allen Winkeln der Welt zusammenzubringen. Das menschliche Grundbedürfnis der Begegnung besitzt internationale Bedeutung, unabhängig von Faktoren
wie Herkunft oder Alter. Das ist in der
Messestadt Frankfurt seit Jahrhunderten unverändert. Was sich sichtbar entwickelt hat, sind die Instrumente, die wir dafür nutzen, um Begegnungen unkompliziert
zu ermöglichen. Das haben wir im
Übrigen – ganz unabhängig von KI – schon immer getan.“
CIM ALS E-PAPER
Dieser Artikel ist in der Ausgabe CIM 5/2023 erschienen, die hier als E-Paper zur Verfügung steht.
Das Interview mit Wolfgang Marzin lesen Sie auf den Seiten 28 bis 30 im Resort Fokus.
Einen Überblick über vergangene CIM-Ausgaben finden Sie im E-Reader-Bereich unter „Alle Ausgaben“.
Das heißt, der Einsatz von KI wird auch
in Ihrem Unternehmensalltag
zunehmen?
„Da muss man sich zunächst die Frage stellen, was KI eigentlich ist. Denn
im Grunde nutzen wir Systeme, die
mittels sogenannter Künstlicher Intelligenz betrieben werden, schon seit mindestens 25 Jahren. Software-Plattformen, Suchmaschinen oder auch Datenbanksysteme funktionieren längst auf der Basis entsprechender Algorithmen – die wir nicht kennen und über deren Nutzung wir nichts wissen. Grundsätzlich glauben wir daran, dass Software auch in Zukunft in allererster Linie zur Unterstützung und Vereinfachung dient, wenn es um das Ermöglichen menschlicher Begegnungen im echten Leben geht.“
Wie können Technologien das praktisch unterstützen?
„Aktuell wird zum Beispiel mit unserem Transformations-Großprojekt Progress das größte Modernisierungsprojekt in der Historie der Messe Frankfurt realisiert. Dabei verbessern und beschleunigen wir auf der Basis von SAP die Prozesse für unsere Kunden. Dabei spielt auch KI als Werkzeug in vielen Details eine wichtige Rolle, etwa bei der Bearbeitung von Services, aber auch in Sachen Data Mining.“
Sehen Sie bei allen Innovationen
auch Risiken?
„Ein großes Risiko ist gerade generell die Versuchung, bei einem so universell besprochenen Thema wie KI in Aktionismus zu verfallen, anstatt die geschäftlichen Möglichkeiten von entsprechenden Angeboten im engen Zusammenspiel zwischen Business Units und unserer IT kritisch
zu prüfen. Denn natürlich gibt es gerade
im Bereich Sicherheit zahlreiche relevante
Faktoren, die beim Einsatz von KI zu beachten sind.“
Welche Fragen stellen Sie sich
dabei vor allem?
„Wir beschäftigen uns dabei mit vielen Aspekten, von denen viele gar nicht auf den ersten Blick ins Auge fallen. Ein Beispiel dafür: Die Frage nach Themen wie Datenschutz oder Datenhoheiten. Bei der Nutzung externer Tools geht es auch darum, wie Verknüpfungen unterschiedlicher Wissensbruchstücke von Dritten missbraucht werden könnten. Wenn es um vertrauliche Unternehmensdaten geht, wird KI bei der Messe Frankfurt sehr verantwortungsbewusst eingesetzt. Und auch der Schutz von weltweiten Kundendaten besitzt eine maximale Relevanz.“
Haben die Pandemie und all die Konsequenzen, die sie für die Event-Branche gebracht hat, Ihrer Meinung nach den Mut für Neuerungen befeuert?
„Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung und Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln weltweit sehr beschleunigt. Für uns bedeutet das, dass wir unsere Kommunikation mehr noch als bisher nach digitaler Lesart – zum Beispiel hinsichtlich Suchmaschinen – und Internationalität ausrichten wollen und müssen. Dennoch bleibt die Schnittstelle Mensch als Absender und Empfänger unersetzlich.“
Blick in die Zukunft: Was könnte in 20 Jahren bei der Messe Frankfurt ganz anders laufen?
„Was die Zukunftsperspektiven betrifft, besitzen wir keine Glaskugel, die uns zeigt, was kommt. Aber wir glauben daran, dass Software unterstützend dafür sorgen kann und wird, dass wir uns auch weiterhin darauf konzentrieren können, was wir am besten machen. Möglichkeiten für persönliche Begegnungen zu schaffen, auch zwischen Mitarbeitenden und Kunden. Das steht im Zentrum unseres Geschäftsmodells. Das gilt im Übrigen auch rückblickend: Als ich vor
40 Jahren ins Messegeschäft eingestiegen bin, waren die technischen Voraussetzungen völlig anders – und dennoch stand der Mensch immer im Mittelpunkt.“