Verstehen, wie Menschen leben, arbeiten und reisen

Mittwoch, 13.03.2024
Das norwegische Tech-Startup Travelin.AI will mit seiner Buchungsplattform Unternehmen und Reisende bei der Verwaltung von Bleisurereisen unterstützen. Wie das funktioniert, erklärt CEO & Co-Founder Roy Golden im Interview.
Die Gründer von Travelin.AI: CTO Tomas Are Haavet und CEO Roy Golden Photo: Travelin.AI

Die Gründer von Travelin.AI: CTO Tomas Are Haavet und CEO Roy Golden Photo: Travelin.AI

Roy, was verstehen Sie unter dem Begriff „Bleisure“?

Roy Golden: Das Wort „Bleisure“ ist die Kombination von zwei englischen Wörtern: „Business“ (Geschäft) und „Leisure“ (Freizeit). Damit werden diese beiden Aspekte zu einer einzigen Reise verknüpft. Anfang und Ende der einzelnen Reiseabschnitte sind bei Bleisure-Reisen nach Arbeit und Freizeit klar voneinander getrennt. Etwa 60 Prozent aller Dienstreisen dienen dem Besuch von Veranstaltungen – häufig in den attraktivsten Städten der Welt. Daher bietet es sich an, den Aufenthalt um ein paar Tage zu verlängern, um dort seine Freizeit zu genießen.

Für mich persönlich bedeutet „Bleisure“, den Nutzen einer Geschäftsreise zu maximieren und diese zielführend zu gestalten. Dazu verknüpft man die Arbeit mit Erholung, Zeit mit dem Partner und umweltbewusstem Handeln.

Warum dafür separat nach London reisen, wenn sich Geschäft und Freizeit miteinander verbinden lassen? Durch die Verknüpfung dieser Reisen reduziert man den CO2-Ausstoß, spart Zeit und senkt Kosten für Transport und Unterkunft.

Wie erklären Sie sich die wachsende Nachfrage nach Bleisure-Reisen?

Bleisure gab es schon immer, wir sind jetzt nur besser darauf eingestellt. Vor Corona erschien bei Expedia jedes Jahr ein Bleisure-Bericht. Warum sollte eine Business-to-Consumer-Plattform (B2C) einen solchen Bericht veröffentlichen? Nun, in erster Linie, weil dort die meisten Bleisure-Reisen gebucht werden – auf B2C-Plattformen.

Es gibt zwei Hauptgründe für die zunehmende Nachfrage nach Bleisure: der eine hängt mit der Technologie, der andere mit sozialen Aspekten zusammen.

Einerseits spielt die Technologie eine wichtige Rolle. Corona hat Unternehmen dazu gezwungen, in Telekonferenzlösungen zu investieren, da Mitarbeiter im Home Office arbeiten mussten. Mit der Zeit wurde erkannt, dass man ja potenziell von überall arbeiten kann. Darüber hinaus stellten die Unternehmen fest, dass sie, um Talente zu gewinnen und zu halten, eine flexible Reisepolitik brauchen und Mitarbeiter nicht dazu zwingen dürfen, im Büro zu erscheinen.

Andererseits hatte man durch Corona Zeit zum Nachdenken und zur Neuausrichtung der Lebensziele – statt nur leben, um zu arbeiten, will man nun lieber arbeiten, um zu leben. Arbeitnehmer suchen nach mehr Erfüllung jenseits der Arbeit; sie wollen etwas erleben. Die coronabedingten Einschränkungen weckten Sehnsucht nach Verbundenheit und schönen Erfahrungen, die zuvor als selbstverständlich galten.

Gehört die klassische Dienstreise jetzt eher der Vergangenheit an?

Ganz und gar nicht. Je nach Region, Branche und Alter der Mitarbeiter bleiben 40 bis 50 Prozent aller Reisen traditionelle Geschäftsreisen. Wir erwarten insgesamt einen Zuwachs im Geschäftsreiseverkehr gegenüber dem Vorjahr. Unserem Kundenfeedback zufolge ist die persönliche Begegnung durch nichts zu ersetzen und bringt deutliche Erfolge. Dies gilt insbesondere für erste Gespräche von Vertriebsteams mit potenziellen Kunden. Die persönliche zwischenmenschliche Interaktion ist unersetzlich.

Mit Travelin.AI wollen Sie Unternehmen und Reisende im Bereich Dienst-, Bleisure- und Freizeitreise unterstützen. Was brachte Sie auf die Idee zu diesem Tool?

Die Idee für das Tool entstand aus meiner Erfahrung als Vertriebsleiter in einem großen IT-Unternehmen. Ich wollte meine Frau und meine Tochter auf eine zweiwöchige Geschäftsreise nach San Francisco mitnehmen, stieß aber auf Hindernisse bei der Buchung über unsere damalige globale Unternehmensplattform. Es leuchtete mir kaufmännisch nicht ein, warum mich meine Familie nicht begleiten konnte, wenn man das Umsatzpotenzial für die Reiseplattform bedenkt. Stattdessen musste ich zwei Stunden damit verbringen, die Reise telefonisch mit meiner Frau zu organisieren, und danach bis zu sechs Stunden dafür, Privat- und Geschäftskosten voneinander zu trennen.

Aus dieser Frustration heraus befasste ich mich näher mit dem Thema Geschäftsreisen und stellte fest, dass bis zu 50 Prozent aller Reisen nicht auf Geschäftsreiseplattformen gebucht werden. Nicht nur birgt dies Sicherheitsrisiken für den Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber verliert auch an Einblick in die Mitarbeiterpräsenz und Einfluss beim Verhandeln von Mengenrabatten mit Fluggesellschaften und Hotels.

Durch Interviews mit Geschäftsreisenden, Gespräche mit Marktführern der globalen Reisebranche sowie umfangreiche Recherchen haben wir verschiedene Gründe ermittelt, warum nicht auf Unternehmensplattformen gebucht wird: fehlende Benutzerfreundlichkeit der Systeme, der Wunsch nach Zugang zu hochwertigen Hotels und die Verknüpfung von Dienstreisen mit Freizeit.

Unsere Lösung lag auf der Hand: die Entwicklung einer modernen Geschäftsreiseplattform, die sich daran orientiert, wie Menschen heute leben, arbeiten und reisen, und den Vorlieben moderner Reisender gerecht wird. Dazu gehört, dass wir auf ihre Bedürfnisse und Wünsche eingehen und gleichzeitig für Benutzerfreundlichkeit und Effizienz sorgen.

Wie funktioniert das genau?

Die zwei Hauptziele sind einerseits die Steigerung der Mitarbeiterproduktivität durch Unkompliziertheit, indem die Plattform einfach zu bedienen ist und Dienstreisen in weniger als 30 Sekunden gebucht werden können. Andererseits hilft man durch die Möglichkeit, Geschäftsreisen mit Urlaub zu verknüpfen und einen höheren Erlebniswert zu erzielen, den Unternehmen, Talente zu gewinnen und zu binden.

Darüber hinaus dienen Reisen als Benefit im Rahmen eines Bonus- oder Vergütungsplans für Mitarbeiter. Alle Mitarbeiter erhalten ein digitales Budget, mit dem sie Reisen buchen, Familie oder Freunde mitnehmen und Reiseziele weltweit erkunden können. Insbesondere Gen Z und Millennials legen mehr Wert auf Sinnhaftigkeit, Flexibilität und Benefits als auf hohe Gehälter. Sie sind erlebnishungrig und das Reisen steht ganz oben auf ihrer Liste. Warum also nicht mit Reisen als Teil des Bonus- und Vergütungspakets vorangehen, um Talente zu gewinnen und zu binden? In Europa liegen die Kosten für die Gewinnung und Bindung eines Mitarbeiters inzwischen bei 30.000 bis 50.000 Euro. Mit „Reisen als Benefit“ helfen wir Unternehmen diese Kosten drastisch zu senken, indem wir den Mitarbeitern geben, was sie wollen.

Darüber hinaus wollen wir eine schnelle Umsetzung gewährleisten, die in Unternehmen jeder Größe innerhalb von Minuten oder Stunden stattfindet – im Gegensatz zu anderen Anbietern, bei denen die Einrichtung mehrere Monate oder sogar Jahre dauern kann. Unsere Plattform wurde auf der Grundlage von realen Arbeits-, Lebens- und Reisegewohnheiten entwickelt, wobei die Technologie darauf zugeschnitten ist, eine nahtlose Erfahrung zu liefern. Diese Flexibilität ermöglicht es den Nutzern, reine Geschäftsreisen oder Freizeitreisen zu buchen oder beides nahtlos in einer einzigen Buchung miteinander zu verknüpfen.

Bei Bleisure-Reisen unterscheidet und trennt das System automatisch zwischen Freizeit- und Geschäftsausgaben für Flüge, Hotels und Mietwagen – eine weltweit einzigartige Fähigkeit. Manuelle Eingriffe sind nicht erforderlich, und es entstehen keine Zusatzkosten für das Unternehmen, so dass die Verknüpfung nahtlos erfolgen kann. Ganz im Gegenteil, können wir zeigen, wie Unternehmen ihre Flugkosten um 10 bis 20 Prozent senken können, indem sie Bleisure-Reisen ermöglichen.

Die Bleisure-Funktion hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt und zu Partnerschaften mit Branchengrößen wie Lufthansa City Centre und Visma geführt. Visma, das fünftgrößte Softwareunternehmen in Europa, ist jetzt unser offizieller Vertriebspartner in Norwegen.

Unsere Plattform bietet eine Reihe von Standardtools für Geschäftsreisen wie Reiserichtlinien, Genehmigungsprozesse, Abrechnungsdashboards, Berichtsfunktion, Analyse des CO2-Ausstosses und vieles mehr. Wir haben auch großen Wert auf die Benutzerfreundlichkeit gelegt damit unsere Plattform ohne jegliche Schulung genutzt werden kann.

Welche Schritte sind als nächstes für Travelin.AI geplant?

Unsere Hauptvision ist es, Menschen miteinander zu verbinden, indem wir verstehen, wie sie leben, arbeiten und reisen, und die Tools zu liefern, die diese Verbindung ermöglichen. Wir planen, die klassische Einzel- oder Teamdienstreise weiter zu optimieren, indem wir sie mit zusätzlichen Inhalten und technischen Möglichkeiten anreichern. Ebenso werden wir die Bleisure-Funktionen mit Hilfe von KI verbessern und ein breites Spektrum an verknüpften Reiseerlebnissen ermöglichen. Darüber hinaus untersuchen wir in welchen Branchen, ob mit direktem oder indirektem Reisebezug, unsere Technologie potenziell eingesetzt werden kann. Auch arbeiten wir – ganz unter uns – noch an ein paar Geheimprojekten, aber unser CTO Tomas Are Haavet will nicht, dass ich zuviel verrate. Folgen Sie uns also auf Linkedin @travelin.ai oder schicken Sie mir eine E-Mail an roy@travelin.ai, wenn Sie mehr wissen und eine Demo sehen möchten.

Vielen Dank für das Interview, Roy! Johanna Palmu